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Bürgerbeteiligung : So erkämpfen Sie sich Ihren Tunnel

Offenburg: Die Bürger wehren sich gegen den vierspurigen Ausbau der Güter-Bahnstrecke im Oberrheintal. Bild: Falk Orth

Nach dem Streit um Stuttgart 21 dürfen die Bürger bei Verkehrsprojekten jetzt mitplanen. Ihnen geht es vor allem um Lärm und Umweltschutz. Billig ist das nicht.

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          Winfried Kretschmann ist seit fünf Jahren der erste grüne Ministerpräsident Deutschlands, gerade haben ihn die Wähler bestätigt. Seinen ersten Erfolg vor fünf Jahren verdankte er auch den gewaltsamen Protesten gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21, den neuen unterirdischen Hauptbahnhof. Wochenlang protestierten Zehntausende Stuttgarter gegen die hohen Kosten, die Baumfällungen im historischen Schlossgarten und den Abriss von Teilen des alten Bahnhofsgebäudes. Der Streit gipfelte in gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Wasserwerfer einsetzte, es gab Hunderte Verletzte, die CDU-Landesregierung wurde abgewählt. Und trotzdem konnten die Proteste den Bau nicht verhindern. Aber sie haben Deutschland verändert.

          Dyrk Scherff
          Redakteur im Ressort „Wert“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Die Bahn und die Politik haben auf Stuttgart 21 reagiert. Seitdem hat der Bürger ungeahnte Möglichkeiten bekommen, Verkehrsprojekte zu beeinflussen. Er scheint nicht mehr hilflos den Planungen ausgeliefert zu sein. Viel früher als bisher wird er nun in die Vorhaben eingebunden. Das Problem von Stuttgart 21, dass eine breite Öffentlichkeit sich erst nach Baubeginn intensiv mit dem Bauprojekt beschäftigte, sollte bei den nächsten Großvorhaben verhindert werden. Stuttgart 21 lieferte dafür schon eine Vorlage: Die öffentliche Schlichtung unter Heiner Geißler und die folgende Volksabstimmung über das Projekt brachten eine vorher nie dagewesene Bürgerbeteiligung für ein Verkehrsprojekt hervor.

          Die Bahn hat das bei anderen umstrittenen Neubauplänen auch eingeführt. Dabei konnten die Bürger umfangreiche Änderungen durchsetzen. Beispiel Offenburg: Hier sollten zwei zusätzliche oberirdische Gleise quer durch die Stadt Platz für mehr Güterzüge schaffen. Der Stadtrat genehmigte das, doch die Einwohner fürchteten massive Lärmbelastungen und setzten eine Kehrtwende durch. Die Gleise sollen jetzt in einem Tunnel verschwinden. Die Planung beginnt von vorne, mindestens zehn Jahre sind verloren. Im weiteren Verlauf der Strecke bis Freiburg werden die neuen Gleise ebenfalls nicht wie geplant entlang der alten Strecke verlegt, sondern fernab der Ortschaften parallel zur Autobahn.

          In Norddeutschland wurde der Bau einer ICE-Strecke zwischen Hannover und Hamburg verworfen. Stattdessen werden nun bestehende Strecken ausgebaut. In Hessen wurde die alte Planung für eine Neubaustrecke zwischen Hanau und Fulda komplett gestoppt. Sie will jetzt neu beginnen - im Dialog mit den Bürgern. Im kommenden Jahr soll gemeinsam eine Trasse festgelegt werden. Im oberbayerischen Inntal wird ebenfalls die neuartige Beteiligung der Öffentlichkeit praktiziert, genauso wie bei der Anbindung des geplanten Tunnels unter dem Fehmarnbelt.

          Bürgerbeteiligung soll ausgeweitet werden

          Erstmals ermöglicht auch der Bundesverkehrswegeplan, der alle geplanten Verkehrsprojekte bis 2030 auflistet, eine Beteiligung der Bürger. Sie können zu dem Plan, der vor zehn Tagen vorgestellt wurde, noch bis 2. Mai online oder per Post Stellung nehmen, Vorschläge unterbreiten und auf Schwierigkeiten hinweisen. Sie sollen den grundsätzlichen Plan diskutieren, nicht die einzelnen Projekte im Detail. Ein Projektinformationssystem (Prins) liefert im Internet die Einzelheiten zu den Bauvorhaben. Ein paar hundert Eingaben liegen schon vor. Sind sie hilfreich, will die Regierung sie in den Plan einarbeiten.

          Künftig soll die Bürgerbeteiligung für alle Infrastrukturvorhaben ausgeweitet werden. Neben Bahn, Straße und Wasserstrecken gilt das auch für umstrittene Stromtrassen. Grundlage ist eine Gesetzesänderung von 2013. Erfahrungen damit gab es nicht nur durch die Schlichtung bei Stuttgart 21, sondern auch bei Bahnstrecken in Österreich und der Planung der ICE-Strecke Leipzig-Erfurt.

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