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F.A.Z.-exklusiv : Führungskräfte gegen Zugeständnisse an Briten

  • -Aktualisiert am

Die Mehrzahl der befragten Führungskräfte plädiert dafür, Theresa Mays Regierung (Foto) in den Verhandlungen über den Ausstieg „konsequent“ alle Vorteile einer EU-Mitgliedschaft zu entziehen. Bild: AFP

Wie sehen deutsche Entscheider die EU nach dem Brexit? Das F.A.Z.-Elite-Panel gibt erstmals Einblicke in die Stimmung nach dem Referendum.

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          Der Ausstieg Großbritanniens werde die Europäische Union erheblich schwächen, lautet das fast einhellige Urteil deutscher Führungskräfte. Fast alle der 506 im F.A.Z.-Capital-Elite-Panel vom Meinungsforschungsinstitut Allensbach befragten Spitzen aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung sähen die Briten lieber in der EU.

          Heike Göbel
          Verantwortliche Redakteurin für Wirtschaftspolitik, zuständig für „Die Ordnung der Wirtschaft“.

          Das weltpolitische Gewicht der EU werde abnehmen, befürchten zwei Drittel der Befragten, wachsende Fliehkräfte erwarten mehr als drei Viertel. Mit dem Auszug weiterer EU-Länder rechnen schon vier von zehn Befragten. Neun von zehn sagen, die EU befinde sich in einem „kritischen Zustand“.

          „Die EU muss umfassend reformiert werden, um weitere Austritte zu verhindern.“ Für diese Position sieht Allensbach-Chefin Renate Köcher einen „ganz breiten Konsens“ unter den Eliten, auch wenn dies selbst jetzt noch ein Drittel der befragten Spitzenpolitiker verneint.

          Die ersten Brüsseler Reaktionen seien nicht ermutigend gewesen, „doch solchen Diskussionen kann man nicht ausweichen“, warnte Köcher bei der Vorstellung der Ergebnisse des Panels am Dienstag in Berlin. Wobei sie selbst nicht an die Reformfähigkeit der EU als einer Organisation „ohne klare Hierarchie“ glaubt. „Da bin ich skeptisch“, sagte die Demoskopin.

          „Konsequent“ alle Vorteile entziehen

          Während mehr als die Hälfte der Befragten durch den „Brexit“ erheblichen Schaden für die britische Wirtschaft befürchtet, glaubt nur eine Minderheit von 15 Prozent an erhebliche Einbußen für die heimische Wirtschaft. Auswirkungen auf das eigene Unternehmen erwarten nur 6 Prozent. Das erstaunt, denn Großbritannien ist ein wichtiger Handelspartner.

          Bild: F.A.Z.

          Erstaunlich daher auch, dass selbst die befragten Unternehmer und Vorstände mehrheitlich dafür sind, die Briten „abzustrafen“, ihnen also in den Verhandlungen über den Ausstieg „konsequent“ alle Vorteile einer EU-Mitgliedschaft zu entziehen. Das fordern 56 Prozent der Führungsspitzen. Köcher wies allerdings darauf hin, dass die Zustimmung für eine harte Haltung in der Wirtschaft schwächer ist als in der Politik.

          Klar fällt nach dem britischen Referendum das Urteil über Volksabstimmungen aus: Fast drei Viertel der Befragten fordern, dass weitreichende politische Entscheidungen nur in den Parlamenten getroffen werden sollten.

          Urteil über Draghi mehrheitlich negativ

          Nicht nur der Brexit treibt die Eliten mit Blick auf Europa um. „Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank wird zunehmend zu einer Belastung“, sagte Köcher. Erstmals fällte eine Mehrheit der Entscheider ein negatives Urteil über die Arbeit von EZB-Präsident Mario Draghi. 52 Prozent sagen nun, er leiste keine gute Arbeit. Noch vor vier Jahren hatten ihn hingegen fast 60 Prozent gelobt. Zu großen Einfluss der EZB auf die Eurozone bemängeln jetzt 52 Prozent.

          Bild: F.A.Z.

          Am derzeitigen extrem lockeren geldpolitischen Kurs der EZB überwögen die Nachteile, urteilen 55 Prozent. Köcher hob hervor, dass sich Wirtschaft und Politik hier nicht einig sind. Das komme bei großen Themen selten vor. Die Mehrheit der Politik sei noch immer von den Vorteilen der Nullzinspolitik überzeugt, während die Mehrheit der Wirtschaft überwiegend Nachteile sehe. Hier spiegelten sich auch die unterschiedlichen Interessen. Der Finanzminister gewinne, die Wirtschaft erleide zunehmend Kollateralschäden, etwa durch größere Rückstellungen für Pensionslasten oder Beschädigung der Geschäftsmodelle der Banken.

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