Armutsvergleich : Die Statistik überzeichnet das Armutsproblem
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Das Institut der deutschen Wirtschaft hat einen umfangreichen Armutsvergleich veröffentlicht Bild: dapd
Wächst hierzulande die Armut? Eine Vergleichsstudie weckt Zweifel. In der EU ist Dänemark am fairsten, doch auch Deutschland steht gut da.
Subjektiv empfundene Armut ist in Deutschland weit weniger stark ausgeprägt als statistisch gemessene Armut. 11 Prozent der Bevölkerung vertreten die Einschätzung, dass ihr Haushaltseinkommen deutlich unter dem nach eigenem Maßstab notwendigen Mindestniveau liegt. 16 Prozent gelten aber nach der am meisten verbreiteten statistischen Definition als „relativ arm“ - ihr Haushaltseinkommen beträgt weniger als 60 Prozent des mittleren Niveaus im Land.
Im Durchschnitt der Europäischen Union sind die Verhältnisse dagegen gerade umgekehrt: Der Anteil der subjektiv Armen liegt mit 19 Prozent erheblich höher als in Deutschland, der Anteil der „relativ Armen“ überschreitet dagegen nur geringfügig das deutsche Niveau. Das zeigt ein umfangreicher Armutsvergleich, den das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) am Dienstag veröffentlicht hat.
Das europäische Musterland mit den insgesamt geringsten messbaren Armutsproblemen ist nach der IW-Analyse Dänemark, gefolgt von Schweden und Finnland. Deutschland belegt in der aus insgesamt vier Indikatoren ermittelten Rangliste den siebten Platz hinter Österreich und vor Großbritannien und Frankreich.
Die subjektiv empfundene Armut weitete sich aus
Der hierzulande deutliche Unterschied zwischen subjektiv empfundener und relativer Armut ist zum Teil damit zu erklären, dass in wohlhabenden Ländern auch schon ein Einkommen knapp unter der relativen Armutsschwelle von 60 Prozent des gesellschaftlichen Mittelwerts etliche Bedürfnisse abdecken kann. Die Schwächen einer solchen relativen Armutsdefinition können sich aber auch umgekehrt in Krisenländern zeigen, wie IW-Forscher Christoph Schröder am Beispiel Griechenlands anschaulich macht: Die Finanzkrise brachte der griechischen Bevölkerung herbe Wohlstandsverluste. Da die Einschnitte breit genug verteilt waren, sank aber auch die am Medianeinkommen gemessene Armutsschwelle. Die derart ermittelte relative Armutsquote stieg 2010 deshalb nur um einen Prozentpunkt auf 21 Prozent an. Die subjektiv empfundene Armut weitete sich jedoch zeitgleich um 14 Prozentpunkte auf mehr als ein Drittel der Bevölkerung aus.
Hinweise auf eine deutlich gegenläufige Entwicklung von individuell empfundener und politisch wahrgenommener Armut hatte kürzlich auch der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung geliefert. Er weist unter anderem aus, dass der Anteil der Deutschen, die ihr Einkommen als beschwerlich gering einschätzen, in den Jahren 2006 bis 2010 um 3 Prozentpunkte auf 15 Prozent gesunken ist.
Viele Arbeitslose unter der relativen Armutsschwelle
Betrachtet man das relative Armutsrisiko für einzelne Bevölkerungsgruppen, so fällt auf, dass die Situation für erwerbstätige Menschen nicht nur insgesamt am besten ist. Zugleich fällt in Deutschland ein geringerer Teil der Erwerbstätigen unter die Schwelle von 60 Prozent des Medianeinkommens, als dies im EU-Durchschnitt der Fall ist. Gelten hierzulande 7,7 Prozent der Erwerbstätigen als relativ arm, so sind es in Europa 8,9 Prozent.
Umgekehrt fällt in Deutschland jedoch ein besonders hoher Prozentsatz der Arbeitslosen unter diese relative Armutsschwelle. Mit 68 Prozent liegt ihr Anteil um 20 Prozentpunkte höher als im EU-Durchschnitt. Über die genauen Gründe für diesen großen Unterschied lasse sich bis dato allerdings nur spekulieren, räumte Schröder auf Nachfrage ein. Eine mögliche Erklärung könnte indirekt die gute Arbeitsmarktentwicklung in Deutschland liefern: Da gut qualifizierte Arbeitskräfte überproportional von der erhöhten Nachfrage der Betriebe profitierten, stieg damit das Medianeinkommen an, während umgekehrt in der schrumpfenden Gruppe der Arbeitslosen der Anteil der gering qualifizierten mit geringen Leistungsansprüchen stieg. Misst man nicht die relative Armut und ermittelt stattdessen, welcher Anteil der Arbeitslosen finanziell nur schwer gewisse Grundbedürfnisse abdecken kann, so liegt der deutsche Armutswert mit 30 Prozent nur noch knapp über dem EU-Durchschnitt, zeigt das IW.