Arbeitnehmerfreizügigkeit : Die Bulgaren und Rumänen kommen
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Umziehen oder bleiben? Die Jugendarbeitslosigkeit in Bulgarien ist überdurchschnittlich hoch Bild: REUTERS
Vom 1. Januar 2014 an öffnet sich der deutsche Arbeitsmarkt für fast 29 Millionen Menschen. Die große Frage lautet: Wie viele machen davon Gebrauch?
Die Szenarien ähneln sich: Am 1. Mai 2011 öffneten sich für mehr als 70 Millionen Bürger aus acht ost- und mitteleuropäischen Staaten die Grenzen zum deutschen Arbeitsmarkt – sieben Jahre nachdem die ehemaligen Ostblockländer der Europäischen Union beigetreten waren. In Deutschland, das neben Österreich als einziges Land die volle Dauer einer entsprechenden Ausnahmeregelung in Anspruch genommen hatte, waren schon Horrorszenarien entworfen worden, was die drohende Zuwanderung anging. Geschehen ist danach allerdings relativ wenig. Wer kommen wollte, war sowieso schon da. Tatsächlich registrierte die Bundesagentur für Arbeit nach dem Stichtag vor allem eine starke Umwandlung von (schein-) selbständigen in angestellte Tätigkeiten von Polen, Tschechen und Slowaken. Sie begrüßte, dass damit die Grauzone am Arbeitsmarkt kleiner wurde.
Vom Januar an gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit, eine der Grundfreiheiten in der EU, auch für 21,3 Millionen Rumänen und 7,3 Millionen Bulgaren – zumindest für jene im erwerbsfähigen Alter. Die Debatte wird derzeit noch hitziger geführt als vor zwei Jahren. Hans-Werner Sinn, der Präsident des Ifo-Instituts, hat damals schon zu den Warnern vor einer verstärkten Zuwanderung in das deutsche Sozialsystem gewarnt. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung fand er vor kurzem abermals klare Worte. „Die Zahlen werden zunehmen; wir sind am Beginn einer neuen Migrationswelle“, sagte Sinn mit Blick auf Gerichtsurteile, die die Ansprüche von Rumänen auf Hartz-IV-Leistungen in Deutschland betreffen. Sinn fordert: Wer steuerfinanzierte Sozialhilfe in seiner Heimat in Anspruch nehmen kann, der muss dies auch tun.
Debatten konzentrieren sich auf strukturschwache Kommunen
Andere Wissenschaftler sehen dem offenen Arbeitsmarkt gelassener entgegen. „Es ist nicht zu erwarten, dass Deutschland von Geringqualifizierten aus Bulgarien und Rumänien überrannt wird“, sagt Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Bislang seien aus den beiden Ländern eher sehr gut ausbildete Migranten gekommen. Nach seinen Auswertungen des Mikrozensus 2010 hatten die damals in Deutschland lebenden Zuwanderer mit bulgarischem und rumänischem Hintergrund zu 55 Prozent einen (Fach-)Hochschulabschluss. „Damit lagen sie nicht nur deutlich über dem Schnitt aller Migranten, sondern auch über jenem der Deutschen“, sagt Klingholz.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das zur Bundesagentur für Arbeit gehört. Rumänen und Bulgaren seien bislang noch eine geringe Belastung für den deutschen Sozialstaat, sagt IAB-Wissenschaftler Herbert Brücker. Allerdings sei zuletzt ein Anstieg im Sozialhilfebezug messbar gewesen. Demnach waren Mitte 2013 rund 10 Prozent aller Bulgaren und Rumänen in Deutschland auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen, was einem Anstieg innerhalb eines Jahres um 1,4 Punkte entspricht. Der Wert liege zwar über der Quote der Gesamtbevölkerung mit 7,5 Prozent, aber noch deutlich unter der aller Ausländer mit 15 Prozent.
Das IAB weist in einem aktuellen Forschungsbericht zudem darauf hin, dass sich die Debatten um soziale und ökonomische Lasten auf einige strukturschwache Kommunen wie Duisburg, Dortmund und Berlin konzentrierten. Nicht nur die Arbeitslosenquoten seien dort hoch. „Vor allem sind hier 60 bis 75 Prozent der Bulgaren und Rumänen weder erwerbstätig noch im Leistungsbezug“, heißt es in dem Bericht. Das IAB weist auf zwei wahrscheinliche Effekte vom 1. Januar an hin: Zum einen steigen für Rumänen und Bulgaren die Beschäftigungschancen am ersten Arbeitsmarkt, zum anderen gibt es mehr potentielle Leistungsempfänger. Die Schätzung liegt zwischen 50.000 und mehr als 90.000.