Jobmarkt : Eine Bilanz nach acht Monaten Mindestlohn
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Nach neun Monaten Mindestlohn zieht der DGB eine positive Bilanz - Arbeitgeber äußern sich hingegen kritisch. Bild: dpa
Gut acht Monate nach der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland ziehen Arbeitsministerin Nahles, Arbeitgeber und Gewerkschaftsbund ein erstes Fazit. Und das ist nicht immer positiv.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zogen am Dienstag bei einer gemeinsamen Veranstaltung ein überwiegend positives Fazit zum Mindestlohngesetz. So belegten Zahlen der Bundesbank, dass insbesondere Un- oder Angelernte in Ost-Deutschland vom Mindestlohn profitierten. DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell: „Es gab Lohnsteigerungen von bis zu 9,3 Prozent, das ist doppelt bis dreifach so viel wie in höheren Gehaltsgruppen.“
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat den Mindestlohn als Schutz gegen Ausbeutung auf dem deutschen Jobmarkt verteidigt. „Mit diesen Haltelinien dämmen wir auch Risiken ein, dass Flüchtlinge, die zu uns kommen, auf dem Arbeitsmarkt ausgebeutet werden“, so die Ministerin. Unter anderem der Landkreistag hatte dafür plädiert, dass Asylbewerber vorübergehend vom Mindestlohn ausgenommen werden.
Auch Körzell sprach sich dagegen aus, den Mindestlohn für Flüchtlinge abzusenken: „Auf dem Arbeitsmarkt gibt es keine Menschen erster und zweiter Klasse. Der Mindestlohn ist nach dem Gesetz für alle gültig und nicht abdingbar.“ Statt über neue Ausnahmen beim Mindestlohn zu diskutieren, solle lieber darüber gesprochen werden, die Ausnahmen im Gesetz zu streichen.
Laut DGB-Vorstandsmitglied Körzell geht die Bundesagentur für Arbeit außerdem davon aus, dass die Zahl der Menschen, deren Lohn so niedrig ist, dass sie zusätzlich Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben, im laufenden Jahr auf rund 60.000 Personen sinken werde. „Der Mindestlohn kostet auch keine Jobs“, sagte Körzell und widerspricht damit den Aussagen des Arbeitgeberverbandes. Im Frühjahr 2015 seien so mehr Beschäftigte in Handel und Gastgewerbe gemeldet gewesen als ein Jahr zuvor. Auch die Preise seien nur moderat gestiegen. „Löhne rauf, Aufstocker runter, Entwarnung bei Jobs und Preisen“, fasste das DGB-Vorstandmitglied zusammen.
Nahles hofft auf eine Anhebung des Mindestlohns
Noch kein Jahr in Kraft, schon hofft die Arbeitsministerin auf eine Anhebung der Lohnuntergrenze zum 1. Januar 2017. Dafür zuständig wäre eine Mindestlohnkommission aus Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgebern, die erstmals im kommenden Jahr eine mögliche Anhebung beraten soll.
Zugleich zog Nahles eine durchweg positive Bilanz. „Besonders profitiert haben Ungelernte und Angelernte.“ Ihr Verdienst sei im ersten Quartal im Schnitt um 4,0 beziehungsweise 2,8 Prozent gestiegen, so die Ministerin unter Berufung auf das Statistische Bundesamt. Sämtliche „Horrorstorys“, der Mindestlohn koste Jobs, hätten sich nicht bewahrheitet. Stattdessen habe die Lohnuntergrenze Minijobbern zu regulären Jobs verholfen und den Konsum angekurbelt.
Kritik von Seiten der Arbeitgeber
Von Seiten der Arbeitgeber kam vor allem Kritik. Der Mindeslohn wirke negativ auf den Arbeitsmarkt. „So ist die Zahl der Minijobs seit Inkrafttreten des Mindestlohns um über 120.000 gesunken“, sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. Kramer sagte, es lasse sich nicht belegen, dass die entfallenen Minijobs in reguläre Arbeitsplätze umgewandelt wurden. Die Beschäftigung sei seit Jahresbeginn nur wenig stärker gewachsen als in den Jahren zuvor. „Vielmehr ist zu befürchten, dass zahlreiche Arbeitsplätze verlorengegangen sind.“ Nach Ansicht Kramers wirkt sich der Mindestlohn vor allem bei denen negativ aus, die auf zusätzliche Tätigkeit angewiesen seien.
Kramer schließt auch weitere negative Auswirkungen des Mindestlohns auf die Beschäftigung nicht aus - auch wenn die Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt zurzeit durch eine gute Konjunkturlage mit niedrigem Ölpreis, niedrigem Eurokurs und niedrigen Zinsen überdeckt würden.
Kramer kritisierte zudem die Regeln zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte die umstrittenen Dokumentationspflichten zur Jahresmitte gelockert. Die Gehaltsschwelle von 2958 Euro entfiel nicht komplett. Bis zu dieser Schwelle sind in neun für Schwarzarbeit anfälligen Branchen die Arbeitszeiten aufzuzeichnen. Bei Arbeitsverhältnissen mit längerem Bestand müssen Arbeitgeber die Arbeitszeit aber nicht mehr aufzeichnen, wenn der regelmäßige Lohn 2000 Euro brutto übersteigt und die letzten zwölf Monate auch tatsächlich bezahlt wurde.
Kramer forderte: „Es wäre für alle Beteiligten viel einfacher, die Aufzeichnungspflichten bei einem Stundenverdienst von mehr als zehn Euro enden zu lassen.“ Bei Minijobs sollte die Aufzeichnung der Dauer der wöchentlichen statt täglichen Arbeitszeit genügen.
Mindeslohnkontrollen verlangsamt
Der Chef des Parlamentskreises Mittelstand der Unionsfraktion, Christian von Stetten (CDU), sagte, auch weiter gebe es viele Beschwerden der Firmen. Viele Unternehmen und Vereine würden unter bürokratischen Auflagen leiden. „Ohne eine Gesetzesänderung werden wir die Probleme beim Mindestlohn nicht beseitigen können.“ Bewege Nahles sich hier nicht, werde der Parlamentskreis Mittelstand die Probleme im Oktober in der CDU/CSU-Fraktion thematisieren.
Linke-Fraktionsvize Klaus Ernst warf der Bundesregierung vor, die Kontrolle des Mindestlohns vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise schleifen zu lassen. „Das ist wie eine Einladung an Lohndrücker, gegen das Gesetz zu verstoßen“, sagte er der dpa. „Besonders perfide ist es, Benachteiligte am Markt gegeneinander auszuspielen, wie Wolfgang Schäuble dies macht.“
Für die Kontrolle des Mindestlohns ist der Zoll verantwortlich. Die Bundesregierung hatte dafür 1600 zusätzliche Stellen bewilligt. Bundesfinanzminister Schäuble hatte im Bundestag Anfang des Monats angekündigt, die zusätzlichen Stellen auch kurzfristig zur Bewältigung der Flüchtlingsfrage zu nutzen - und den Ausbau der Mindestlohnkontrollen zu verlangsamen.