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Was ist Reichtum? : Ziemlich besteuert

In einem Vorort von Frankfurt leben viele Spitzenverdiener: Die Häuser sind teuer, aber es sieht bei den Reichen noch ziemlich nach Mittelschicht aus. Bild: Wohlfahrt, Rainer

Machen 10.000 Euro im Monat reich? Die Statistik sagt: ja. Aber um vermögend zu werden, reicht es lange nicht. Ein Besuch im Reihenhaus eines Spitzenverdieners, der weiß, dass er nie ganz nach oben kommt.

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          Seit Robert Neunkirch weiß, dass er reich ist, schläft er schlecht. Nachts hört er es manchmal knacksen im Haus, als stiege ein Einbrecher durchs Fenster ein. Er streitet sich fast täglich mit seiner Frau, weil sie eine Sauna im Keller will, er das aber für Geldverschwendung hält. Früher, sagt Robert Neunkirch, war er eigentlich ganz entspannt. Dann kam vor drei Jahren mit der neuen Stelle eine Gehaltserhöhung, und seitdem ist Neunkirch reich, zumindest auf dem Papier. Das hatte ihm der Bruder seiner Frau vorgerechnet, Lehrer an einer Berufsschule, der mit seinen Schülern im Unterricht gerade den Wirtschaftskreislauf durchnahm. Wer als Single netto im Monat mehr als 3400 Euro verdiene, sagte der Bruder, gelte als reich. Für ein Ehepaar mit Kindern seien es rund 6000 Euro.

          Mona Jaeger
          Stellvertretende verantwortliche Redakteurin für Nachrichten und Politik Online.

          Robert Neunkirch, ein Spitzenverdiener in einem guten Vorort von Frankfurt, bekommt seit seiner letzten Gehaltserhöhung sogar noch mehr, rund 7000 Euro, bei 120.000 Euro brutto Jahreseinkommen. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Ich und reich? Das passt doch nicht! Er verdiente nicht schlecht, das fand er schon, aber eben auch nicht übermäßig viel. Er hatte keine Yacht, fuhr nicht zum Skifahren nach Kitzbühel. Er sei solide Mittelschicht, dachte er bis dahin. Aber dann war das Wörtchen reich plötzlich da, und seitdem sieht Neunkirch die Tagesschau mit anderen Augen, wenn von Steuererhöhungen die Rede ist. Und er schaut mit anderen Augen auf die neue Küche, den Schmuck seiner Frau, die Bilder an der Wand. Neuerdings hat er eine Alarmanlage und Überwachungskameras am Haus.

          Das Paradoxe, das Neunkirch nachts schlecht schlafen lässt, ist, dass er reich ist, sich aber nicht so fühlt. Wie zum Beweis, dass es ihn im Innersten umtreibt, dass er nicht nur auf hohem Niveau jammert, legt er einen Ordner auf den Tisch, auf dem „Einkommen“ steht. Darin sind alle seine Gehaltsabrechnungen abgeheftet, mit Textmarker unterstrich er den jeweiligen Monat. „Ich bin Schwabe“, erklärt sich Neunkirch, und man hört es auch. Wenn er „rischtig“ sagt und „gell“, dann klingt das nach Böblingen und nicht nach Saint Tropez.

          Die Abzüge sind auch nicht klein

          Mit dem Zeigefinger geht er die einzelnen Posten auf seiner Gehaltsabrechnung von oben nach unten ab, seine Stimme wird von Zeile zu Zeile lauter. Er rechnet vor: Als angestellter Ingenieur verdient er im Monat rund 10.000 Euro brutto. Der größte Abzug ist die Einkommensteuer: allein etwa 3000 Euro in der Steuerklasse 3. Bleiben 7000 Euro. Davon gehen noch die Beiträge für die Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherung ab. All dies ist Geld, das Neunkirch gleich abgezogen bekommt und er nie in den Händen hält.

          Vom Übrigen muss er als Alleinverdiener, weil seine Frau zu Hause bei den fünf und neun Jahre alten Kindern bleibt, noch Folgendes bezahlen: 480 Euro für die private Krankenversicherung, 180 Euro für die Krankenversicherung seiner Frau und Kinder, 470 Euro für den Baukredit und nochmal so viel für Gas, Wasser, Strom und Rücklagen, 200 Euro für das zweite Auto in der Garage (das andere ist ein Dienstwagen). 100 Euro legt er für jeden der beiden Söhne zurück, für den Führerschein oder das Studium später, und schließlich noch Haushaltsgeld für die alltäglichen Ausgaben, die mal 1000 Euro und mal 1300 Euro im Monat betragen, je nachdem, ob die Neunkirchs im Restaurant essen gehen oder Urlaub machen.

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