Der Fall Wirecard : Mit Korpsgeist und Treueschwüren
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Bei Wirecard habe ein „streng hierarchisches System“ mit Korpsgeist geherrscht, sagt die Sprecherin der Anklagebehörde, Anne Leiding. Bild: dpa
Eigentlich war der frühere Wirecard-Chef gegen Kaution auf freiem Fuß. Doch heute Morgen wurde er abermals festgenommen – zusammen mit zwei weiteren Managern. Die Staatsanwaltschaft vermutet ein „streng hierarchisches System“.
Vier Wochen war der frühere Wirecard-Chef Markus Braun auf freiem Fuß. Am Mittwoch ist der 50 Jahre alte Österreicher, einer der Hauptverdächtigen im Milliardenskandal um den insolventen Dax-Konzern Wirecard, abermals festgenommen worden. Gegen Braun sei ein neuer, erweiterter Haftbefehl erlassen und eröffnet worden, sagte Anne Leiding von der Staatsanwaltschaft München.
In den vergangenen vier Wochen ist die Liste der möglichen Delikte und der Beschuldigten immer länger geworden. Lautete der Verdacht zunächst auf Marktmanipulation und richtete sich gegen Braun und drei weitere Vorstände, kamen recht bald Bilanzfälschung und Untreue hinzu. Inzwischen gehen die Strafverfolger auch dem Vorwurf des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs nach, wie Oberstaatsanwältin Leiding erklärte. Außerdem wurden zwei weitere frühere Führungskräfte festgenommen, darunter der bis 2017 amtierende ehemalige Finanzvorstand Burkhard L. und der Manager Stephan von E.. Braun wurde festgenommen, als er sich innerhalb der Auflagen selbst bei der Polizei meldete. Die beiden anderen Manager seien in München festgenommen worden, sie hätten sich nicht selbst gestellt.
Anlass für die Festnahme war nach Angaben der Ermittler, dass die Tatvorwürfe „ganz erheblich“ erweitert werden mussten. Seit dem Jahr 2015 hätten die drei Manager die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen durch das Vortäuschen von Einnahmen aufgebläht, obwohl klar gewesen sei, dass Wirecard Verluste machte. „Das Unternehmen sollte finanzkräftiger erscheinen“, sagte Leiding. Durch die Täuschung hätten Banken in Deutschland und Japan sowie andere Investoren 3,2 Milliarden Euro bereit gestellt, die nun „höchstwahrscheinlich“ verloren seien.
Leiding zeigte sich erschüttert vom Ausmaß der Vorwürfe: „Auch wir fragen uns, wie ein solches System etabliert werden konnte.“ Aussagen von Zeugen deuteten darauf, dass bei Wirecard ein „streng hierarchisches System“ mit einem Korpsgeist und Treueschwüren gegenüber Braun geherrscht habe. „Möglicherweise erklärt das etwas“, sagte Leiding.
Neue Hinweise könnten sich aus der Verhaftung des ehemaligen Chef der Wirecard-Tochtergesellschaft Cardsystems Middle East mit Sitz in Dubai ergeben haben. Der Manager hatte sich dem Verfahren vor zwei Wochen freiwillig gestellt und ließ über seinen Anwalt erklären, er wolle mit der Justiz zusammenarbeiten. Er gilt als eine der Schlüsselfiguren, war doch die Cardsystems Middle East die vermutlich größte Drehscheibe in dem Asiengeschäft. Etwa ein Drittel der Erlöse soll die Tochtergesellschaft im Geschäftsjahr 2018 geliefert haben. Doch ein Großteil des gesamten Asiengeschäfts, das Wirecard mit Partnerfirmen betrieb, hat wohl gar nicht existiert. Es stand unter der Verantwortung des langjährigen Wirecard-Vorstands Jan Marsalek. Der 40 Jahre alte Österreicher wird per internationalem Haftbefehl gesucht, seine Spur führte zuletzt nach Belarus und Russland. Doch hierzu hat die Staatsanwaltschaft offenbar keine neuen Erkenntnisse.
Beratungsunternehmen soll ermitteln
Zur Aufklärung des Milliardenbetrugs sollen offenbar auch externe Berater beitragen. Laut der Nachrichtenagentur Reuters ist damit Alix Partners beauftragt. Das amerikanische Beratungsunternehmen hat ein spezialisiertes Team für forensische Untersuchungen, das in der Vergangenheit schon in spektakulären Fällen von Wirtschaftskriminalität zur Aufklärung hinzugezogen worden ist, etwa im Libor-Skandal oder im Falle von Bernard Madoff, der Anleger mit einem Schneeballsystem betrogen hatte.
Die Berater von Alix Partners sollen herausfinden, wer im Wirecard-Management und im Aufsichtsrat wann von welchen dubiosen Geschäften gewusst hat. Weil die Verdächtigen in großen Wirtschaftsskandalen oft belastende Dateien auf ihren Computern löschen, geht es in solchen Fällen häufig auch darum, gelöschte Daten zu rekonstruieren. Selbst aus schlecht vernichteten Festplatten können die IT-Forensiker noch Daten sichern, solange die Datenträger nicht eingeschmolzen wurden. Im Fall des amerikanischen Anlagebetrügers Bernie Madoff etwa half Alix Partners anhand beschlagnahmter Computer, elektronischer Speichermedien, geschredderter Akten und Mikrofilme zu rekonstruieren, was genau geschehen war. Im Libor-Skandal mussten Telefongespräche zwischen Händlern ausgewertet werden. Um aus der Masse die relevanten Gespräche herauszufiltern, wurden Audiodateien mit Hilfe einer Spezialsoftware verschriftlicht, die dann nach bestimmten Schlüsselbegriffen gescannt werden konnten. Tatsächlich haben Ermittler im Falle von Wirtschaftskriminalität oft mit der schieren Masse der vorhandenen Daten zu kämpfen.
Den Auftrag zur Untersuchung des Wirecard-Falles habe formal der verbliebene Wirecard-Vorstand und Aufsichtsrat erteilt, schreibt Reuters mit Berufung auf mehrere mit dem Auftrag vertraute Personen. Dass Alix Partners engagiert wurde, dürfte aber auch dem Insolvenzverwalter Michael Jaffé gelegen kommen. Denn die Erkenntnisse der Berater können auch für mögliche Klagen gegen Wirecard-Manager oder für mögliche Ansprüche gegen deren Manager-Haftpflicht-Versicherungen interessant sein. Alix Partners wollte sich auf Nachfrage der F.A.Z. nicht zur Sache äußern.