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Oleg Chernyak hat Charkiw „fürs Erste den Rücken gekehrt“. Bild: privat

Ukraine-Krieg : „Viele müssen im Büro schlafen“

Ein Update von Oleg Chernyak, einem Software-Unternehmer aus Charkiw.

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          Oleg Chernyak ist ein Optimist, selbst in Zeiten des Krieges. „Unsere Firma läuft fast auf Normalniveau“, sagt er. Der Ukrainer aus Charkiw ist Mitglied des Führungsteams von CHI Software, einem ukrainischen Unternehmen, das fast 500 Mitarbeiter beschäftigt. „Wir setzen für unsere Kunden alles daran, dass es so bleibt“, fügt er hinzu. Vor Beginn des russischen Angriffs haben wir zum ersten Mal mit ihm Kontakt aufgenommen, um zu erfahren, wie es sich lebt und arbeitet unter der beständig steigenden russischen Bedrohung. In Panik war er damals nicht, Sorge hatte er natürlich schon: Den Russen traue er alles zu, sagte er.

          Einfach ist es nicht, ein Unternehmen in Kriegszeiten am Laufen zu halten, schon gar nicht in Charkiw, wo es kurz nach Kriegsbeginn sehr gefährlich wurde. Die Wirtschaftsmetropole ganz im Osten der Ukraine, 50 Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt, ist mit ihren 1,5 Millionen Einwohnern ein Hauptziel der russischen Invasion und seit der Invasion heftig bombardiert worden. Charkiw ist eine Stadt der Studenten, der Wissenschaftler und der Industrie. Von Chernyak war nach Kriegsausbruch länger nichts zu hören. Immer wieder war er für mehrere Tage offline. Auf Anfragen reagierte er nicht.

          Inge Kloepfer
          Freie Autorin in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

          Sechs Wochen nach Kriegsbeginn ist er über Skype endlich wieder erreichbar. Die Leitung steht sofort – diesmal über die Satellitenkonstellation Starlink, die Elon Musk den Ukrainern auf Bitten des ukrainischen Digitalministers seit den ersten Kriegstagen kostenlos zur Verfügung stellt. Inzwischen befindet sich Chernyak in einem kleinen Dorf unweit von Lemberg im Westen der Ukraine, er arbeitet von dort aus. „Am 24. Februar wurden wir um 5 Uhr morgens von Kanonengeräuschen geweckt. Es war beängstigend, obwohl es im Vergleich zu dem, was die Wochen darauf passierte, noch harmlos war“, erinnert er sich. Die Notfallkoffer hatten er und seine Frau gepackt. Als er morgens dann auf die Straße trat und sich auf den Weg durch die Stadt machte, waren die Straßen von Autoschlangen verstopft. „Ich habe entschieden, dass wir unser Zuhause an diesem Tag nicht verlassen, sondern lieber warten.“ Die Nacht vom 25. auf den 26. Februar hätten sie in einem unterirdischen Parkhaus verbracht. „Dann haben wir beschlossen, Charkiw fürs Erste den Rücken zu kehren.“ Das Wort Flucht nimmt er nicht in den Mund.

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