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Serie: Wie wir reich wurden (62) : Zucker: Das süße Salz in den Lebensmitteln

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Das waren alles einmal Rüben

Das waren alles einmal Rüben Bild: Getty Images/Dorling Kindersley

Zucker hat die Arbeiter des 19. Jahrhunderts ernährt und bei Laune gehalten. Rübenzucker förderte die Industriealisierung des ländlichen Raumes. Das gab auch dem Maschinenbau einen Schub.

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          Zu Weihnachten, am Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan oder beim jüdischen Purim-Fest, ist er noch zu spüren - der Zuckerluxus der vorindustriellen Zeit. Inzwischen ist Zucker längst zu einem der wichtigsten und zugleich gewöhnlichen Nahrungsmittel der Weltbevölkerung geworden. Bis zu 20 Prozent aller Kalorien werden heute als Zucker aufgenommen. Ohne das süße Salz wäre die Lebensmittelindustrie nicht denkbar.

          Doch ist dies nur die oberflächliche Sicht auf ein Lebensmittel, das wie kein anderes zur Grundlage unseres Reichtums geworden ist. Rohrzucker hat in England, der ersten Industrienation, mehr noch als die Dampfmaschine zum Durchbruch der Industrialisierung beigetragen. Auf dem europäischen Kontinent schuf die Herstellung und Verarbeitung von Rübenzucker eine Grundlage für die Aufholjagd an die Spitze der Weltwirtschaft. Mehr noch: der Zuckerkrieg zwischen Rohr- und Rübenzucker, der während des gesamten 19. Jahrhunderts andauerte, lässt sich als Parabel verstehen, aus der sich die Gründe wirtschaftlicher Unterentwicklung erschließen.

          Zucker kam zur Zeit der Kreuzzüge als Rohrzucker aus Indien via Alexandria und Venedig nach Europa. Die Spanier machten das "persische Rohr" auf den Kanarischen Inseln heimisch. Von dort brachte es Kolumbus 1493, auf seiner zweiten Amerika-Reise, auf die Antillen-Insel San Domingo. Die Zuckerrohrplantagen Lateinamerikas lieferten dem Weltmarkt bald ein preiswertes Massenprodukt, das seine Wohlfeilheit freilich dem menschenverachtenden Dreieckshandel mit Sklaven aus Westafrika und dem von ihnen gewonnenen "Blutzucker" für Europa verdankte. In England trug der zunehmende Zuckerkonsum im 18. Jahrhundert - ob nun als Süßstoff im Tee, als Sirup im Brei oder als Marmelade auf dem Brot - zur Erweiterung der Nahrungsgrundlage einer wachsenden Bevölkerung bei. Sie erlaubte das rasche Wachstum der Baumwollindustrie, ohne dass es zu Versorgungsengpässen in der Ernährung der Arbeiterschaft kam, die bis dahin die gewerbliche Expansion immer wieder zurückgeworfen hatten.

          Der Zuckerkonsum steuerte - neben anderen Nahrungsmitteln, die aus den Kolonien nach Europa kamen - der bremsenden Wirkung des Bevölkerungswachstums auf die industrielle Entwicklung entgegen und machte den demographischen Faktor erstmals zu einer Quelle produktiver Arbeit. In den englischen Textilfabriken diente Zucker aber auch weit über den reinen Ernährungsaspekt hinaus der Abwechslung im monotonen Arbeitsrhythmus und als Aufwertung geschmacklich neutraler Lebensmittel und Getränke. Die "Sucht" der Lohnarbeiterinnen nach Tee, Kaffee und Zucker zieht sich wie ein roter Faden durch die Berichte der Fabrikinspektoren.

          Auch die deutschen Ambitionen, die eigene wirtschaftliche Rückständigkeit zu überwinden, verdanken dem Zucker viel. Unabhängigkeit von teuren und im Konfliktfall unsicheren Einfuhren, die gewerbliche Durchdringung des platten Landes, um den Lebensstandard zu heben, die Strategie, mit Hilfe innovativer chemischer und agrarindustrieller Fertigungsweisen einen wichtigen Markt zu beherrschen - all dies waren Motive, den Rübenzucker in Preußen schon im 18. Jahrhundert zu einem wichtigen Objekt innerer Entwicklungspolitik zu machen.

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