Vertrauen in Institutionen : Die Menschen trauen den Eliten nicht mehr
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Gut bewacht: Zum Weltwirtschaftsforum reisen Politiker und Geschäftsleute aus der ganzen Welt nach Davos Bild: EPA
Politiker, Manager, Nichtregierungsorganisationen und auch Medien: Umfragen zeigen, dass die Menschen dem „System“ nicht mehr vertrauen. Die Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums sind Teil davon. Sie müssen sich darauf einstellen.
Es wird immer schlimmer: Das Vertrauen der Menschen in die politischen und gesellschaftlichen Institutionen erodiert. Politikern, Managern, Nichtregierungsorganisationen und auch den Medien wird immer weniger vertraut. Die Mehrheit der Menschen glaubt inzwischen, dass das aus diesen Säulen gebildete „System“ nicht mehr funktioniert. Und die Wirtschaft muss sich vor diesem Hintergrund Sorgen darüber machen, dass ihr nicht in der Zukunft die Lizenz des gesellschaftlichen Konsens entzogen wird, auf deren Basis sie Geschäfte macht. Damit ist gemeint, dass zum Beispiel 82 Prozent der Menschen glauben, dass die Pharmaindustrie stärker reguliert werden sollte – obwohl diese Branche, verglichen mit früheren Jahren, derzeit einen durchaus guten Ruf genießt. 76 Prozent finden, dass Lebensmittel, die gesundheitsschädlich sind, mit einer Straf- oder Erziehungsteuer belegt werden sollten. Und 53 Prozent glauben trotz aller Reformen der vergangenen Jahre noch immer nicht, dass die harten Eingriffe der Regulatoren in den Finanzmarkt rund um die Welt dafür gesorgt haben, dass die Wirtschaft stabiler arbeiten kann.
Diese Zahlen und Erkenntnisse basieren nicht auf irgendeiner weiteren Studie mit einer schmalen Datenbasis, sondern auf dem „Edelman Trust Barometer“, einer Umfrage unter mehr als 32.000 Menschen in 28 Ländern der Welt, die zwischen Mitte Oktober und Mitte November des vergangenen Jahres stattgefunden hat. Hinzu kommen 6200 Menschen aus der sogenannten „informierten Öffentlichkeit“, also unter Menschen, die eine Hochschulbildung haben, sich intensiv informieren und zu den oberen 25 Prozent der Einkommenspyramide gehören. Aus den Antworten werden die entsprechenden Zahlen im Auftrag der Kommunikationsberatung Edelman aggregiert – die diese zur Grundlage ihrer Beratertätigkeit in den kommenden Monaten macht.
Dabei wird es viel zu besprechen geben. Denn der grundsätzliche Trend, der im Rahmen dieser Umfrage schon in den vergangenen Jahren deutlich erkennbar war, hat sich in den zurückliegenden zwölf Monaten abermals deutlich verfestigt: In der breiten Mehrheit glaubt man „denen da oben“ immer seltener. Nur noch 37 Prozent der Befragten halten Vorstandsvorsitzende eines Unternehmens in ihren Aussagen für glaubwürdig, und mit Blick auf Vertreter der Regierung glauben das sogar nur noch 29 Prozent. Wenn man allein auf die Wirtschaftswelt schaut, genießen inzwischen einfache Angestellte als Ansprechpartner das größte Vertrauen. Von allen anderen, die möglicherweise einen höheren Rang haben, will man wenig wissen – denn sie sind auf der einen oder anderen Weise schon durch das zunehmend verhasste „System“ korrumpiert.
Breit verankerte Vertrauenskrise auch in Deutschland
Die Aussagen, mit denen die Fragesteller von Edelman in diesem Zusammenhang konfrontiert worden sind, sprechen dabei für sich: „Die Eliten, die unsere Institutionen führen, haben keine Berührung mehr mit normalen Menschen“, hieße es. Oder: „Die Eliten interessieren sich nicht mehr für uns.“ Während die normalen Menschen oft genug Schwierigkeiten hätten, ihre Rechnungen zu bezahlen, seien die Eliten reicher, als sie es verdient hätten. Und: „Das System bevorzugt reiche Menschen gegenüber normalen Menschen.“ Zugleich glaubt man nicht, dass die eigene harte Arbeit vernünftig bezahlt wird, dass die Kinder ein besseres Leben haben als man selbst oder dass sich das Land, in dem man lebt, in die richtige Richtung bewegt.
„Man kann es nun einfach nicht mehr leugnen oder schönreden: Wir haben – auch in Deutschland – eine tiefgehende, langlebige, breit verankerte Vertrauenskrise“, sagt auch Edelman-Deutschland-Chefin Susanne Marell. Und: „So schmerzlich das für viele sein mag: Wer sich als Firmenchef in dem Glauben bewegt, er könne kraft seines Auftritts für sich und sein Unternehmen werben, sollte radikal umdenken und als Arbeitshypothese erst einmal davon ausgehen, dass ihm sowieso niemand glaubt. Das ist die realistischere Sicht auf die Dinge.“ Auch den Regierenden wird von immer mehr Menschen nicht zugetraut, dass sie Mittel und Weg finden werden, die Herausforderungen, denen ihr jeweiliges Land entgegensieht, erfolgreich zu begegnen.
Was daraus folgt? „Wir brauchen starke Reformer an der Macht, die für den dringend notwendigen Wandel sorgen.“ Dabei ist es naheliegend, an den Wahlerfolg des künftigen amerikanischen Präsidenten Donald Trump zu denken, der am Freitag dieser Woche in Washington sein Amt übernehmen wird. Agenturchef Richard Edelman hatte schon im vergangenen Jahr als einer der wenigen in Davos den Namen Donald Trump in den Mund genommen, als es um die Antwort auf die Frage ging, wer von der großen Vertrauenserosion würde profitieren können. Auch nannte er schon damals den Namen Marine Le Pen – und die Wahlen in Frankreich stehen noch bevor.
Aus Bedenken würden immer häufiger Ängste
Die Begründungen für den Wahlerfolg Trumps findet sich auch in anderen Ergebnissen der Umfrage, die zum Teil vor dem Urnengang in den Vereinigten Staaten stattgefunden hat – und das in sogar 28 Ländern. Denn jeder zweite der Befragten ist der Meinung, dass man keine Freihandelsabkommen mehr abschließen sollte, da sie den Arbeitern im eigenen Land schadeten. Sogar 70 Prozent stimmen der Aussage zu, dass die Interessen des eigenen Landes über denen des Rests der Welt stehen sollten. Und 72 Prozent der Befragten, dass die jeweilige Regierung die nationalen Arbeitsplätze und Unternehmen schützen sollte, selbst wenn das zu Lasten des Wirtschaftswachstums gehen sollte.
Aus dem, was in früheren Erhebungen noch Bedenken gewesen seien, würden immer häufiger Ängste, heißt es bei Edelman – und das bezieht sich auf Fragen der Korruption der Globalisierung, der sozialen Werte, der Immigration und des Tempos der Innovation. Die Skepsis gegenüber Innovationen wird in der breiten Bevölkerung immer größer. Und die Erwartung an die Regierungen, den Markt stärker zu regulieren, steht im diametralen Gegensatz zu den Wünschen der Wirtschaft, es genau in diesem Punkt nicht zu übertreiben. Die Botschaft der Vertrauensbarometer-Umfrage von Edelman ist in diesem Punkt aber vollkommen eindeutig: Der allgemeinen Bevölkerung ist das Innovationstempo ganz offensichtlich zu hoch geworden.
Und nicht nur hier will man den Staat und seine Vertreter bremsen sehen, traut dies den aktuell Regierenden aber kaum noch zu. Auch in den Augen des Weltwirtschaftsforums (WEF) – also des Veranstalters des Treffens in Davos – selbst, ist es tatsächlich der technische Fortschritt, der zu den immer größeren Unterschieden zwischen Arm und Reich führt, nicht aber die ebenfalls verhasste Globalisierung. Das hatte auch schon der jährliche Risikobericht des WEF gezeigt, den die Organisation eine Woche vor ihrer Jahreskonferenz in Davos vorstellten. Das WEF spricht von einer „vierten Industriellen Revolution“: Künstliche Intelligenz, die Robotertechnik, das Internet der Dinge und andere technische Durchbrüche brächten zwar viele Vorteile, trieben aber auch einen Keil in die Gesellschaften.
Autoindustrie habe immer noch einen besseren Ruf als die Banken
Die jüngsten Daten, die vom Medienanalyse-Unternehmen Media Tenor zusammengetragen worden sind, bestätigen die Eindrücke eines fortgesetzten Vertrauensverlusts ebenfalls – wobei es in diesem Fall um den Ruf unterschiedlicher Branchen in der Wirtschaft geht. Sowohl die Untersuchungen von Media Tenor als auch die von Edelman liegen der F.A.Z. vor ihrer Veröffentlichung auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos vor. Media Tenor sammelt seine Daten aber anders als Edelmann nicht durch eine Umfrage, sondern durch die Auswertung der Berichterstattung in relevanten Medien im vergangenen Jahr. Dabei zeigt sich, dass es in der Wirtschaft (neben Fluggesellschaften, die aus Gründen der Unzuverlässigkeit eine besonders kritische Berichterstattung genießen) nach wie vor die Finanzbranche ist, welche die Stimmung nach unten zieht.
„Seit sieben Jahren dominiert nur ein Thema die Wahrnehmung: Prozesse – da können wir nicht mehr eine Chance auf Heilung sehen“, sagt dazu Roland Schatz von Media Tenor: „Von 24.990 von uns ausgewerteten Berichten allein im Fernsehen gehen mehr als 2500 ausschließlich auf das Thema ein, wie die Banken ihre Kunden betrügen.“ Und in der Berichterstattung gehe es eben nicht nur mit dem Blick auf die Vergangenheit, wie der Skandal um die amerikanische Großbank Wells Fargo im vergangenen Jahr gezeigt habe.
Warum holt Trump Banker in sein Team?
Überraschend sei: Selbst in Zeiten des Dieselskandals habe die Autoindustrie im Saldo noch immer einen besseren Ruf als die Banken. Media Tenor führt das darauf zurück, dass die Autobranche es gewohnt sei, auch in Krisenzeiten zu kommunizieren, während Banken nach wie vor lieber über Regulierung jammerten und sich in Selbstmitleid ergingen. Hinzu komme, dass die Banken mit ihren Zukunftsthemen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht punkten könnten – für die Produkte der Häuser interessiere sich jedenfalls kaum jemand. Dagegen gebe es immer mehr Möglichkeiten, Bank- und Finanzierungsgeschäfte ohne die Hilfe der traditionellen Institute abzuwickeln, sondern mit Fintechs oder mit der Unterstützung unternehmenseigener Banken wie zum Beispiel von Trumpf oder Siemens.
Interessant ist, dass sich der Hoffnungsträger Trump für sein künftiges Team auch manche Banker geholt hat, die in der Bevölkerung und damit auch unter seinen Wählern doch einen so schlechten Ruf genießen. Nicht alles also ist stimmig in dieser Welt der Vertrauenserosion. Aber sicher ist, dass der Rede des scheidenden amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden vor Jahresfrist in Davos angesichts solcher Ergebnisse zu wenige Menschen wirklich zugehört haben. Dann hätten sie gewusst, dass die amerikanische Mittelschicht ihren fairen Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung haben will, dass sie sich aber abgehängt fühlt – und an den Aufstiegschancen für sich und ihre Kinder zweifelt. Ob Marine Le Pen von dieser Stimmung im April auch in Frankreich profitieren kann?
Ein Sieg von Geert Wilders in den Niederlanden im März könnte dafür schon den Weg bereiten. Und im Herbst stehen dann die Bundestagswahlen in Deutschland an. Der Wahlkampf verspricht interessanter zu werden als die vergangenen. Denn fast jeder Zweite hat auch hier kein Vertrauen mehr in staatliche Institutionen. „Und das in einem Land, das wirtschaftlich blendend dasteht, nicht etwa ein ,failed state‘ ist“, sagt Marell: „Hier wird die Entkoppelung zwischen den tatsächlichen Lebensverhältnissen und einer grundlegenden gefühlten Bedrohung deutlich.“