Indiens Weizenexport-Stopp : „Ein herber Schlag für den Welternährungsmarkt“
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Zwei indische Arbeiter manövrieren Säcke mit Weizen durch die Straßen Neu Delhis. Bild: AFP
Indien hat seine Weizenausfuhr fast vollständig eingestellt. Der Forscher Thomas Glauben vom Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien erklärt, warum solche Exportembargos am Ende alle schaden.
Herr Glauben, Indien hat die Ausfuhr von Weizen weitgehend gestoppt. Welche Folgen hat das für den Weltmarkt?
Exportembargos verknappen einmal mehr das Angebot, und die Preise ziehen zusätzlich an. Insofern ist das indische Exportembargo ein herber Schlag für den ohnehin schon angespannten Welternährungsmarkt – zumal Indien nicht das einzige Land ist, das einen solchen Schritt prüft oder ihn schon vollzogen hat. Die Leidtragenden sind die Länder im globalen Süden, die ohnehin schon vor einer riskanten Ernährungssituation stehen. So gehörten zu den zehn größten Abnehmern von indischem Weizen zuletzt Bangladesch, Afghanistan und Somalia.
Sie haben schon vor der Entscheidung Indiens vor wachsendem Protektionismus im Handel mit Agrargütern und Nahrungsmitteln gewarnt. Warum?
Ich warne, wie viele andere, weil Stimmen zu Abschottung bis hin zu Autarkie nach meiner Wahrnehmung immer lauter werden. Spätestens seit den Versorgungsengpässen infolge der Corona-Krise und einmal mehr seit Beginn des Ukrainekriegs. Diese Stimmen hegen offensichtlich die Hoffnung, dass Abschottung vom internationalen Handelsgeschehen und weitreichende Selbstversorgung bei vielen Gütern, so auch Agrargütern, in Zukunft das Rezept sei, Versorgungsrisiken zu reduzieren. Ich denke, genau das Gegenteil ist der Fall.
Und zwar?
Wenn ein merklicher Teil von Agrargütern „nach Plan“ nur im eigenen Land produziert wird, dann können relative Kostenvorteile nicht genutzt werden und höhere Nahrungspreise sind die Folge. Auch, dies nur am Rande, würde man auf Diätvielfalt verzichten müssen. Letztendlich stünde man vor einer Mangelwirtschaft. Durch den Rückgang globaler Handelsbeziehungen können zudem etwa witterungs-, krisen- oder politikbedingte Versorgungsengpässe in bestimmten Regionen nicht durch (zusätzliche) Lieferungen aus anderen Regionen abgemildert werden. Je verbreiteter nun protektionistische Abschottung ist, desto schwächer ist das „Sicherheitsnetz des Weltagrarhandels“ und desto weniger können Risiken geteilt und kontrolliert werden. Nach meiner Einschätzung stünde es mit dem Hunger in der Welt noch weitaus schlechter.
Der freie Handel mit Agrarprodukten spielt also eine entscheidende Rolle für die globale Nahrungsmittelversorgung.
Ganz „frei“ ist der Welthandel sicherlich nicht; er unterliegt schon Spielregeln. Und das ist auch gut so. Aber die Bedeutung eines im Grundsatz offenen Weltagrarhandelssystem ist offensichtlich. Der weltweite Agrarhandel hat nicht zuletzt seit der Gründung der Welthandelsorganisation im Jahr 1995 ein beachtliches Wachstum erfahren. Die Agrarexporte haben sich seither wertmäßig mehr als verdreifacht und mengenmäßig mehr als verdoppelt. Das Wachstum wurde vor allem durch die steigende Importnachfrage aus den südost- und westasiatischen sowie den nordafrikanischen Staaten angetrieben.
Exportembargos sollen nicht nur die Versorgung sichern, sondern auch die derzeit stark steigenden Lebensmittelpreise für die heimische Bevölkerung stabilisieren. Sind sie aus nationaler Sicht also sinnvoll?
Im Grunde nicht. Nur in ganz seltenen Fällen können Exportembargos aus nationaler Sicht Sinn ergeben. Und auch nur dann, wenn diese sehr kurzfristig angelegt sind. Aber verständlich ist es sicherlich, wenn etwa witterungsbedingte Ernteausfälle in Exportländern Sorgen bei Regierungsverantwortlichen hervorrufen. So kann dies auch ein Signal an die Bevölkerung sein: „Wir kümmern uns.“ Aber der Schaden ist in der Regel größer als der Nutzen daraus. Insbesondere ist dies mittel- und längerfristig keine vernünftige Strategie.
Warum nicht?
Erstens würden Exportländer auf häufig notwendige Exporteinnahmen verzichten. Zweitens könnten diese Vertrauen bei ihren Handelspartnern für zukünftige Geschäftsmöglichkeiten verlieren. Und drittens, vielleicht am wichtigsten, tragen große Exportnationen natürlich zentrale Mitverantwortung, wenn es um die Verfolgung eines der wichtigsten Ziele der Vereinten Nationen, eben die Reduktion von Hunger geht.
Kann es nicht sogar von Vorteil sein, wenn Länder, die aktuell stark von Weizenimporten abhängig sind, ihre heimische Landwirtschaft stärken oder ihre Importe diversifizieren?
Natürlich kann dies im Grundsatz von Vorteil sein. Hier bedarf es der Prüfung, was wirtschaftlich als auch aus sozial- und umweltpolitischen Aspekten sinnvoll und tragbar ist. Auch Risikoaspekte im Sinne der Versorgungssicherung, wie etwa Importdiversifizierung, können dabei durchaus eine Rolle spielen. Allerdings sind viele Länder etwa durch klimatische Faktoren, beschränkte natürliche Ressourcen oder mangelnde Kapitalausstattung häufig in ihren Produktionsmöglichkeiten begrenzt. Zudem kann dies auch mit negativen Umweltwirkungen verbunden sein. Man denke etwa an die Rodungen von Regenwald für Sojaproduktion in Brasilien, die Überstrapazierung von Ackerland in China wegen begrenzter Flächen oder Wasserkonflikte in ariden Weltregionen.
Wie dramatisch ist die Lage auf dem Welternährungsmarkt wirklich? Bislang handelt es sich bei den Warnungen vor Versorgungsengpässen infolge des Ukrainekrieges ja häufig noch um Zukunftsszenarien.
Die Situation ist mehr als besorgniserregend. Ende 2020 litten, gemäß der Welthungerhilfe, bis zu 811 Millionen Menschen unter chronischem Hunger, weitere 155 Millionen Menschen waren von einer akuten Ernährungskrise betroffen. Ein weiterer Hungeranstieg wird erwartet. Zwar gibt es gegenwärtig keine Hinweise auf zusätzliche angebotsseitige Versorgungsengpässe für das Wirtschaftsjahr 2021/22. Jedoch beobachten wir derzeit ein sehr hohes Preisniveau für sämtliche Agrarprodukte auf den Weltmärkten wie auch auf den nationalen Märkten. Dies wird aller Voraussicht nach für das nächste Wirtschaftsjahr 22/23 auf hohem Niveau verbleiben. Dies ist weniger problematisch für den Großteil der Bevölkerung in Industrieländern, jedoch für die Bevölkerung in Entwicklungsländern, welche einen hohen Anteil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben muss.