
Was geschah beim Dinner? : Die Nacht, die alles veränderte
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Auch der Brite Peter Ludlow ist kein ganz unabhängiger Kopf. Der Geschichtsprofessor lebt seit dreißig Jahren in Brüssel. Er war Gründungsdirektor des „Centre for European Policy Studies“ und ist von der Idee eines geeinten Europas überzeugt. Aber Ludlow ist auch Brüssels Insider schlechthin. Nach jedem Gipfel spricht der Historiker mit jenen, die zumindest in zweiter Reihe dabei waren - und schreibt einen Essay. Am Abend des 7. Mai hatten die Staatschefs anders als sonst jeder einen persönlichen Helfer hinter sich sitzen: die Nacht ist die Mutter aller Euroschlachten. Nach ihr gelten die Prinzipien der Währungsunion nicht mehr, an ihre Stelle war die Zahl von 750 Rettungsmilliarden gerückt.
Sarkozy will die Südländer geschlossen in die Schlacht führen
Der Ärger von Juncker zu Sitzungsbeginn ist der Anfang einer erbitterten Debatte zwischen Europas armem Süden und dem reichen Norden. Juncker ist Norden. Als Mitglied des Europäischen Rats, sagt er, erwarte er etwas anderes, als über die Medien erfahren zu müssen, worüber die Staatschefs in ihren Klüngelrunden verhandeln. Das geht gegen Sarkozy.
Der Franzose hat an diesem Tag schon einen Termin mit dem portugiesischen Ministerpräsidenten José Sócrates in Brüssel hinter sich. Das Treffen war lange geplant. Als klar ist, dass Freitag wieder Gipfel-Tag ist, verabreden sich die beiden Staatschefs in der EU-Hauptstadt. Das passt gut, weil Sarkozy einen Plan hat: Er will die Südländer der Union, die sogenannten „Olivenstaaten“, am Abend geschlossen in die Schlacht um den Euro führen.
Das erste Ziel des Angriffs ist die so genannte „No-bail-out-Regel“: Kein Mitgliedstaat oder die EU als Ganzes darf für die Schulden anderer Mitgliedstaaten haften. Zum Teil ist diese Regel schon gefallen, doch die kollektive Haftung des Euro-Clubs gibt es noch nicht. Das zweite Prinzip, ebenso zum Abschuss freigegeben, ist die Unabhängigkeit der EZB. Diese soll fallen, so will es Sarkozy. Die Währungshüter sollen massenhaft griechische, spanische, portugiesische Anleihen kaufen. Das wäre dann direkte Staatsfinanzierung, ein weiteres Tabu, das Deutschland eingefordert hat, bevor Helmut Kohl die D-Mark aufgab.
Wenn die EZB nicht von sich aus Anleihen kaufe, müsse sie eben dazu gezwungen werden, findet Sarkozy. Von ihm. Von Berlusconi, mit dem Sarkozy nach Sócrates konferiert. Vom spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero, mit dem sich Sarkozy als Drittes trifft. Auch mit Van Rompuy spricht Sarkozy.
Der Ratspräsident erstarrt, als Juncker die Geheimdiplomatie offen auf den Sitzungstisch pfeffert. Kein Wort bringt er mehr hinaus. Sarkozy stört die Schelte wenig. Er, das ist jedem hier im Raum klar, ist der Anführer der Olivenstaaten. Gleich kann die Attacke beginnen. Zunächst legt der Grieche Papandreou seine miese Lage dar. Besser: die Niederlage. Die Rendite zehnjähriger griechischer Staatsanleihen ist am Vormittag durch die Decke gegangen. Griechenland bekommt von den Märkten kein Geld mehr. Die Rettungsmilliarden haben nicht geholfen. Papandreou spricht nüchtern, seine Fakten sind grauenvoll. An Dantes Inferno fühlt sich einer der Zuhörer erinnert: die neun Höllenkreise aus der Göttlichen Komödie zur Verdammnis jener, die für ihre Sünden verurteilt sind. In der Hölle ist noch viel Platz.