Hanks Welt : Der Liberalismus ist mehr als eine Schießbudenfigur
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Wilhelm Röpke Bild: Picture Alliance
Demokratie kann nicht allein das höchste politische Ziel sein. Ohne den Liberalismus droht sie, von den Feinden der Freiheit vereinnahmt zu werden.
Die Demokratie als höchsten politischen Wert zu loben ist, wenn nicht töricht, so zumindest fahrlässig. Ist nicht auch Viktor Orbán ein Demokrat? War nicht Hitler mithilfe der Demokratie an die Macht gekommen? Hat etwa Donald Trump nicht eine demokratische Wahl gewonnen? Irgendwie müsste man es schaffen, die Demokratie vor ihrer Vereinnahmung zu schützen und damit der unbeschränkten demokratischen Macht des Volkes Grenzen zu setzen.
Die Demokratie durch das Gebot der Rechtsstaatlichkeit zu zähmen, vermag einzig der Liberalismus. „Wenn der Liberalismus die Demokratie fordert“, sagte einst der Ökonom Wilhelm Röpke, „so nur unter der Voraussetzung, dass sie mit Begrenzungen und Sicherungen ausgestattet wird, die dafür sorgen, dass der Liberalismus nicht von der Demokratie verschlungen wird.“ Denn die Populisten bekämpfen die liberale Demokratie, „um die illiberale Demokratie an ihre Stelle zu setzen“.
Viktor Orbán kaschiert das noch nicht einmal, wenn er seinen Staat bewusst zur „illiberalen Demokratie“ adelt. Es ist ein Staat, der Richter nach Gutdünken ab- oder einsetzt, Pressefreiheit mit Füßen tritt, Universitäten Maulkörbe verhängt – und das Volk bei alledem hinter sich weiß.
Der Ideenhistoriker Jens Hacke sagt, Wilhelm Röpke habe die Formel von der illiberalen Demokratie überhaupt erst erfunden. Sie findet sich in einem „Epochenwende“ überschriebenen Vortrag, den Röpke am 8. Februar 1933, wenige Tage nach Hitlers Machtergreifung, in Frankfurt hielt. Dieser Shootingstar der deutschen Nationalökonomie, geboren 1899, war mit 24 Jahren bereits zum Professor ernannt worden. Nach der Machtergreifung erhielt er umgehend Berufsverbot.
Röpke fiel nicht unter die Hasskategorien Sozialist, Kommunist oder Jude. Vielmehr galt er den neuen Machthabern als unversöhnlicher Staatsfeind, weil er „ohne jeglichen Kompromiss für Liberalismus, Marktwirtschaft und individuelle Freiheit focht“, wie der Historiker Götz Aly schreibt. Dieser liberal-republikanische Widerstand kommt in der Geschichtsschreibung häufig zu kurz, wird gar verfälscht zur perfiden Gleichsetzung von Kapitalisten und Faschisten.
Der Liberalismus ist zu einer Schießbudenfigur geworden
Röpke, der liberale Marktwirtschaftler, ging in die Emigration, zunächst nach Istanbul, dann nach Genf. 1942 wurde er von den Nazis ausgebürgert, weil er „extrem humanistisch-weltbürgerlich eingestellt“ sei. Aus der Schweiz entwickelte er eine rege Publikationstätigkeit, in der frühen Bundesrepublik war er ein public intellectual. Neben Walter Eucken ist Röpke der wohl wichtigste Kopf der Freiburger Schule der Sozialen Marktwirtschaft, deren wirtschaftspolitische Praxis die Grundlage für den raschen Wohlstandsgewinn der Menschen in Westdeutschland nach dem Krieg war.
Die Lektüre von Röpkes Epochenwende-Vortrag (abgedruckt in „Wirrnis und Wahrheit“, 1962) bringt zuhauf Aha-Erlebnisse. Schon der Titel zitiert avant la lettre Olaf Scholz’ „Zeitenwende“, nimmt dem Schlagwort aber sein radikales Neuheitspathos. Immer, schreibt Röpke, verlängerten die Zeitgenossen ihre Gegenwart auf ewig in die Zukunft. Jene, die in der Hochkonjunktur nicht an ein Ende der guten Geschäfte glauben wollten, seien dieselben, die in der Krise kein Ende des Jammers für möglich hielten. Die Hysterien gleichen sich.