Deutsch in Berlin : Barista wanted
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Wo Hipster aus aller Welt Englisch sprechen, wie in diesem Cafe in Neukölln, fühlt sich Jens Spahn nicht wohl. Bild: Kien Hoang Le
Mit der deutschen Sprache kommt man in Berlin nicht mehr weit, schimpft der CDU-Finanzpolitiker Jens Spahn. Stimmt das? Ein Rundgang durch das Innere der Hauptstadt.
Der Anruf, der alles veränderte, kam an einem Montagmittag um zwölf. Das Fahrrad war in der Werkstatt, erstaunlicherweise hatten sie den Auftrag ohne größere Wartezeit angenommen. Bei Rückfragen würden sie sich melden, sagten sie. So geschah es. Allerdings eröffnete der junge Mann aus der Werkstatt das Gespräch auf ungewöhnliche Weise. „My German is not yet so good“, sagte er, immerhin in einem etwas schüchternen Tonfall. „Could you speak English?“
„Not yet“, so hört man es in Berlin oft, seit Jahren schon: noch nicht. Es war in der großen Expat-Szene der Hauptstadt stets die höfliche Umschreibung dafür, das man dieses schrecklich komplizierte und etwas uncoole Deutsch ganz gewiss niemals lernen werde. Zumal man, im Großen und Ganzen, auch auf Englisch zurechtkommt. Wie inzwischen übrigens in den meisten größeren Städten Europas.
Es ging dann ganz gut mit dem anglophonen Mechaniker, trotz seiner etwas schluffigen Aussprache. Er wollte auch bloß wissen, ob er ein anderes Reifenmodell auf die Felge ziehen dürfe. „Racing Ralph“ sei leider nicht verfügbar. Er habe statt dessen „Tough Tom“ zur Hand. Ein großes Problem war das wirklich nicht.
Oder doch? Szenen wie diese hat vermutlich jeder Berliner in den vergangenen Jahren erlebt, Situationen, in denen man auf Deutsch nicht mehr weiterkam. Die Frage, ob das nun cool sei oder befremdlich, bewegte so manches Partygespräch. Jetzt hat auch der CDU-Finanzpolitiker Jens Spahn das Problem entdeckt und es in verschiedenen Zeitungen gegeißelt – der Mann mit der Hipsterbrille, der als Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium für das Thema „Fin-Tech“ zuständig ist, was eine Großmutter im Münsterland vermutlich für einen finnischen Technologiekonzern hielte. Es geht aber bloß um das digitale Bankgeschäft.
Und auf einmal diskutiert gefühlt halb Deutschland in den sozialen Netzwerken den Niedergang der deutschen Sprache in der Hauptstadt – sogar jetzt noch, wo die Debatte über die Beteiligung des Finanzpolitikers an einer Firma für Steuersoftware konkurrierenden Gesprächsstoff bietet: Hat Jens Spahn recht? Und falls ja, was wäre daran schlimm?
Im Lokal besser nicht auf Deutsch bestehen
Der Berliner Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant schlug schon vor Jahren Alarm – in Formulierungen, denen Spahns Warnungen verdächtig ähneln. „Es ist schon ein Problem, wenn sich eine ganz Gruppe von Menschen in eine andere sprachliche und kulturelle Welt flüchtet – wie die Aristokratie des 18. Jahrhunderts ins Französische“, klagte er. „Heute erleben wir in unseren Großstädten eine neue Form dieser höfischen, elitären Kultur“, schimpft jetzt Spahn.
Die Debatte über Versailles und Sanssouci hilft im Berliner Alltag freilich nicht viel. Bis vor kurzem gab es in Kreuzberg ein Lokal namens „East London“, das vor rohen Ziegelwänden erstaunlich schmackhafte englische Küche bot. Dass das Personal bloß Englisch sprach, mochte man zunächst für Show halten – ganz so, wie der arabische Kellner beim Italiener auch „Buongiorno“ und „Prego“ sagt, obwohl ihm „Guten Tag“ und „Sehr gerne“ viel flüssiger über die Lippen kämen. (Früher sagte man statt „Sehr gerne“ ja mal „Bitte“, aber auch das ist vorbei.)
Auf einer deutschsprachigen Bestellung zu bestehen war trotzdem keine gute Idee. Statt des gewünschten Weißweins kam die rote Variante (immerhin kein Bier), und die gewünschte Bratwurst mit Kartoffelstampf wurde auf sprachlichen Verdacht durch Rindfleisch im Teigmantel ersetzt. Nach solchen Erlebnissen erscheint es ratsam, den Hinweisen Spahns nicht zu folgen und sprachlichen Fundamentalismus zu vermeiden. Zumindest, wenn man bestelltes und serviertes Essen einigermaßen zur Deckung bringen will.
Das Phänomen beschränkt sich nicht nur auf die Gastronomie, nicht auf Fahrradläden und auch nicht auf Kreuzberg. Ein Friseurbesuch in Berlin-Mitte bietet ebenfalls reiches Anschauungsmaterial, zugegebenermaßen in der Alten Schönhauser Straße, wo unhippes Publikum eine Rarität ist. Die Fachkraft, mutmaßlich asiatischer Herkunft, sagt wiederum brav das „not yet“-Sprüchlein auf. Dann wird es etwas schwieriger. Anders als die Bratwurst oder das Fahrrad kam der Scheitel im Schulunterricht nicht vor. Aber irgendwie geht es dann doch. Und der Friseur hat auch noch deutschsprachige Kollegen. Um von ihnen bedient zu werden, müsste man aber die hart erkämpfte Wartenummer aufgeben.