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Schwerpunkt „Arbeit für Alle“ : Vollbeschäftigung? Unglaublich, aber wahr

Bild: Illustration: F.A.S.

Die Vollbeschäftigung kommt, auch wenn auf den ersten Blick vieles dagegen spricht. Wir widerlegen die zehn wichtigsten Einwände gegen die optimistische Prognose.

          5 Min.

          1. Seit vierzig Jahren herrscht Arbeitslosigkeit. Wieso soll es jetzt plötzlich besser werden?

          Die nächsten Jahre werden Deutschland verändern. Denn dann geht die Generation der „Babyboomer“ in Rente: die Menschen aus den geburtenstarken Jahrgängen nach dem Zweiten Weltkrieg. Dann werden viele Arbeitsplätze frei. Gleichzeitig rücken nur wenige junge Leute nach. Nach der Wiedervereinigung kamen in Ostdeutschland weniger Kinder auf die Welt, heute sind sie um die 20 Jahre alt. Sie finden ohne Probleme eine Lehrstelle. Die Jahrgänge nach ihnen werden sogar noch schwächer. Es gibt in vielen Regionen nicht mehr genügend junge Leute für die Arbeitsplätze. Das muss nicht bedeuten, dass die Arbeitslosigkeit auf null fällt. Denn es werden immer Menschen eine neue Stelle suchen. Schon bei einer Arbeitslosenquote von rund fünf Prozent fühlt sich eine Gesellschaft vollbeschäftigt, darum nehmen Ökonomen wie IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard das als Grenze.

          2. Warum soll es Deutschland besser gehen als anderen?

          Patrick Bernau
          Verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft und „Wert“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Schon wahr: In vielen anderen europäischen Ländern herrscht Massenarbeitslosigkeit vor allem unter Jugendlichen. In Frankreich sind so viele Menschen arbeitslos wie noch nie, in Spanien sind es jetzt sogar mehr als sechs Millionen. Deutschlands Wirtschaft aber ist dank Umorganisationen, Lohnzurückhaltung und Hartz-Reformen immer wettbewerbsfähiger geworden, so dass viele neue Arbeitsplätze entstanden sind. Wenn die Krise nicht noch einmal heftig eskaliert, verschwinden diese Arbeitsplätze nicht so einfach. Ein Risiko für die Arbeitsplätze sind allerdings höhere Löhne. Aber die höheren Löhne setzen Arbeitnehmer nur dann durch, wenn sie sowieso schon in der besseren Verhandlungsposition, sprich vollbeschäftigt sind.

          3. Die Arbeitslosenzahlen sind doch sowieso geschönt.

          Stimmt. Ein-Euro-Jobs, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Qualifizierungen - das alles gilt statistisch nicht als Arbeitslosigkeit. Doch immer weniger Menschen stecken in diesem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt fest. Inzwischen sind es noch rund eine Million Menschen in Deutschland, die keine richtige Arbeit haben, ohne als arbeitslos zu gelten. Addiert mit der Zahl der Arbeitslosen, kommt die Bundesagentur für Arbeit zum Resultat: Vier Millionen Menschen fehlt ein richtiger Arbeitsplatz. Aber es werden immer weniger. Gleichzeitig haben heute in Deutschland so viele Menschen Arbeit wie noch nie zuvor, und es werden immer mehr.

          4. Viele Stellen sind so schlecht, dass sie gar keiner haben will.

          Bemerkenswert ist, dass Deutschland seit einigen Jahren nicht mehr über Arbeitslosigkeit diskutiert. Sondern fast nur noch darüber, ob die Stellen angenehm sind und genug Geld bringen. Klar ist: Niedrige Löhne, befristete Stellen und Leiharbeit sind nicht angenehm. Allerdings gibt es solche Phänomene kaum in Berufen, in denen Arbeitnehmer knapp und begehrt sind. Und diese Berufe werden immer mehr. Dann diktieren die Bewerber die Bedingungen. Sie können hohe Gehälter heraushandeln, Sabbaticals und längere Urlaube. Die schlechten Jobs, die es noch gibt, bekommen Arbeitgeber nicht mehr ohne weiteres gefüllt. Im Januar machte eine Fernsehdokumentation Furore, die von schlechten Zuständen in einem Auslieferungslager von Amazon berichtete. Diese Stellen waren zwar gar nicht schlecht bezahlt, nämlich mit neun Euro je Stunde und damit über der Niedriglohngrenze und allen Mindestlohnforderungen. Trotzdem hatte Amazon für diese Stellen kaum Mitarbeiter in der Nähe seines Lagers gefunden. Stattdessen musste die Firma Studenten und andere Leute aus ganz Europa nach Hessen holen und dort beherbergen.

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