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Azubis werden knapp : Die erste Stunde Benimmunterricht

Pünktlich, fleißig, konzentriert: Die Teilnehmer des Fraport-Programms arbeiten bei Pittler Pro Region an ihrer Zukunft. Bild: Jakob von Siebenthal / F.A.Z.

Der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport gibt zwölf Jugendlichen Nachhilfeunterricht in Mathe, Deutsch, Pünktlichkeit und Umgangston. Denn ansonsten findet das Unternehmen nicht mehr genügend Azubis.

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          Mittwochmorgen. Von zwölf Schülern sind neun gekommen, einer zu spät, ein anderer hat die Sportsachen vergessen. „Wie ist eure Woche gelaufen?“, fragt Christian Hauch, der in Cordhose und Turnschuhen an der Tafel steht. „Steuerungstechnik haben wir gemacht“, antwortet einer. „Zylinder mit ’ner Feder drin anschließen und so.“ - „Und sonst?“, fragt Hauch. „Keine Störungen? Keine Späßchen?“ Neun Paar Augen blicken auf die Tischplatten. Schließlich erzählt doch einer. Von den Spaßvögeln, die während des Unterrichts die PCs der anderen ausschalten, obwohl die mitten an der Arbeit sind. Davon, wie das anfangs noch ganz lustig war, aber mittlerweile nur noch nervt. Davon, wie er versucht hat, dem Kollegen zu sagen „Hör auf damit“. Davon, wie der trotzdem nicht aufhörte.

          Nadine Bös
          Redakteurin in der Wirtschaft, zuständig für „Beruf und Chance“.

          „So ähnlich geht es hier jede Woche“, erzählt Hauch später. So einigen seiner Jungs fehle es an Reife: Pünktlichkeit, Umgangston, Verhalten gegenüber Kollegen und Vorgesetzten, Fehlzeiten. „Es gibt hier Teilnehmer, die haben mehr Krankheitstage als Tage, an denen sie da waren.“ Trotzdem muss er immer wieder darauf achten, dass sie sich ordnungsgemäß abmelden. Dass sie anrufen, zum Arzt gehen, ein Attest holen und einreichen - alles Dinge, die eigentlich selbstverständlich sind. „Aber diese jungen Männer haben das eben nie gelernt.“

          Lernen, morgens den Wecker zu stellen

          Diese jungen Männer - das könnten die künftigen Auszubildenden des Frankfurter Flughafenbetreibers Fraport sein. Könnten. Die meisten kommen von der Hauptschule. Viele haben schlechte Noten in den Kernfächern und oft die Schule geschwänzt. Alle haben auf normalem Wege keinen Ausbildungsplatz bekommen. Nun stecken sie in einem eigens für sie designten Fraport-Programm, das sie „ausbildungsreif“ machen soll. Sie holen Grundlagen in Mathe und Deutsch nach. Sie lernen bei einem überbetrieblichen Ausbildungsanbieter erste Inhalte aus der Elektro- und Metalltechnik. Sie schulen beim Sportunterricht Ausdauer und Teamgeist. Und sie sitzen einmal die Woche im Klassenzimmer von Sozialpädagoge Hauch, der sich um alles kümmert, was man in Nachhilfestunden schlecht lernen kann. Darum, dass die Jungs morgens den Wecker stellen. Darum, dass sie am nächsten Tag wiederkommen, auch wenn an der Werkbank mal nur langweiliges Feilen ansteht. Darum, dass sie die vorgeschriebene Arbeitskleidung tragen, ohne dass hinten der Kapuzenpulli raushängt.

          Diese jungen Männer - das sind Jugendliche wie Patrick Stieglitz. Er ist 18 Jahre alt, hat breite Schultern, aschblonde Haare und riecht nach Zigarettenrauch. In seiner Freizeit träumt er vom Führerschein, von einem Audi A3 und von einem Tunnel-Ring im Ohr. Angefangen hat seine Null-Bock-Phase „irgendwann in der achten Klasse“, erzählt er. „Die Lehrer waren streng und haben genervt, die Schule war langweilig, vor allem Englisch war schlimm.“ Irgendwann begannen seine Freunde einfach nicht mehr zur Schule zu gehen. Irgendwann probierte Patrick es auch. Sieben bis acht Tage je Monat schwänzte er damals die Schule, schätzt er. „Aufs Jahr gerechnet, kam da ganz schön was zusammen.“

          120 Bewerbungen, 120 Absagen

          Den Hauptschulabschluss hat er trotzdem irgendwie geschafft. Die Noten allerdings, besonders die Fünf in Englisch, haben jeden möglichen Ausbildungsbetrieb verschreckt. 120 Bewerbungen hat er geschrieben und 120 Absagen kassiert. „Das war kaum auszuhalten“, sagt er. „Aber wenn ich ehrlich bin: Ich hätte mich auch nicht genommen.“ Dass es irgendwie leichter geworden sein soll am Ausbildungsmarkt, dass Unternehmen wegen des demographischen Wandels keine Leute mehr finden - für Stieglitz waren das lange Zeit hohle Phrasen aus den Medien, die mit seinem Leben nichts zu tun hatten. Bis ausgerechnet Fraport sich für ihn interessierte. Für ihn und die anderen elf, deren Biographien alle ähnlich klingen. „Bei uns sind im vergangenen Jahr einige Ausbildungsplätze leer geblieben“, sagt Hauch. Bewerber habe es zwar viele gegeben, aber nicht genügend von der Sorte, die man für ausbildungsreif befand. Die Personalverantwortlichen überlegten sich deshalb ein Nachschulungsprogramm, dem sie den Namen „Startklar“ gaben. Es soll im Idealfall zwölf relativ chancenlose Hauptschulabgänger fit für eine Fraport-Lehre machen, als Anlagenmechaniker, Elektroniker, Konstruktionsmechaniker, Mechatroniker oder Werksfeuerwehrmann.

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