https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/versorgung-ohne-sicherheit-energiedebatten-mit-ungenuegenden-daten-17802326.html

Versorgung ohne Sicherheit : Für die Energiedebatten fehlen Daten

Die Energiewende ist ein Großprojekt, zumindest das lässt sich zweifelsfrei sagen. Bild: dpa

Es wird munter über Energiewende und Gasversorgung gestritten. Dabei mangelt es für eine sinnvolle Debatte an verlässlichen Zahlen.

          2 Min.

          Seit Wochen debattiert die EU darüber, wie sie auf einen möglichen Gas-Lieferstopp nach einem Einmarsch Russlands in der Ukraine reagieren soll. Es geht um die Versorgungssicherheit und darum, wer in die Lücke springen kann. Eine offene Frage ist auch, wie sich ein Lieferstopp auf die ohnehin hohen Energiepreise auswirken kann. Wer aber etwa wissen will, woher Deutschland sein Gas bezieht, findet auf der Seite des Bundeswirtschaftsministeriums nur einen Artikel, der auf Daten von 2016 verweist.

          Hendrik Kafsack
          Wirtschaftskorrespondent in Brüssel.

          Und wer Zahlen zur Entwicklung der Energiepreise sucht, muss sich diese von Ministeriumswebsites, staatlichen Stellen, dem Statistischen Bundesamt, Netzbetreibern, Forschungsinstituten, Verbänden oder der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen mühsam zusammensuchen.

          „Ohne belastbare Daten ist eine informierte Diskussion überhaupt nicht möglich“, warnt Georg Zachmann von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Der Ökonom hat sich in den vergangenen Monaten intensiv damit befasst, wie Russland die Gaslieferungen nach Europa steuert. Dabei hat er erlebt, wie mühsam es ist, Daten zu bekommen. „Die Daten gibt es, aber wir haben allein zwei Monate gebraucht, um sie aufzuarbeiten“, sagt er. In den anderen Feldern der Energiepolitik sieht es nicht besser aus. „Wie viel Wärmeenergie wird in Deutschland verbraucht? Haben energieintensive Konzerne den Gasverbrauch gesenkt? Wie viel Strom erzeugen Solaranlagen? Für keine dieser Fragen lässt sich leicht eine eindeutige Antwort finden“, sagt er.

          Vorbild Amerika?

          Viele Daten seien zwar verfügbar, aber nicht vergleichbar. So gebe es etwa ein Dutzend Energieeinheiten von British Thermal Units bis zu Wattsekunden. Es mache auch einen Unterschied, ob Umwandlungsverluste mit einbezogen würden oder ob man nur ans öffentliche Netz angeschlossene Anlagen betrachte. Hinzu komme, dass viele Daten nur kommerziell zugänglich seien. Das gelte für Energie- und Emissionspreise, aber auch für Zahlen zur Nachfrage bestimmter Konsumentengruppen oder zur regionalen Erzeugung.

          Die Daten seien aber Voraussetzung, um große gesellschaftliche Fragen wie den Umbau des Energiesystems zum Erreichen der Klimaziele diskutieren zu können. „Wenn wir Verkehr, Wärme und Industrie innerhalb sehr kurzer Zeit auf emissionsfreie Energieträger umstellen wollen, ist der richtige Mix an Lösungen wichtig“, sagt Zachmann. „Setzt man auf teure Wasserstoffimporte, einheimische Erneuerbare oder die schwer zu steuernde Energieeffizienz? Bringt man Stromkonsumenten dahin, wo die Windanlagen stehen, die Windanlagen dahin, wo der Konsum ist, oder transportiert man den Strom? Wie verteilt man die Kosten auf die Konsumenten? All das sind nicht nur technisch-ökonomische Fragen, sondern politische“, betont der Ökonom.

          „Das ist kein Hexenwerk, es muss nur jemand tun“

          Solange vergleichbare, verlässliche Daten fehlten, diskutierten alle wild durcheinander, bemängelt Zachmann. Das führe dazu, dass politische Entscheidungen schlecht aufeinander abgestimmt seien. Ziele würden schlimmstenfalls verfehlt, egal ob es um die Energiewende oder die Versorgungssicherheit gehe. Das schrecke auch Investoren ab, deren Planung erschwert werde. Und es führe zur Verschwendung von Steuergeld. „Wie soll ich beurteilen, ob ein Energiekonzern zur Vermeidung von Lieferengpässen Staatshilfen dafür bekommen soll, dass er Gaskraftwerke bereithält, wenn ich gar nicht weiß, ob es überhaupt Netzengpässe für die Verteilung von Ökostrom gibt.“ Genau diese Daten aber seien nicht zugänglich.

          In den USA bereitet die Energy Information Administration (EIA) eine Fülle von Energiedaten nutzerfreundlich auf. Solch einen – von Partikularinteressen möglichst unabhängigen – Akteur brauche auch Deutschland, fordert Zachmann. Ansiedeln könne man den etwa bei der Deutschen Energie-Agentur (Dena). Mit dreißig Mitarbeitern könne man dort schon viel erreichen. „Das ist kein Hexenwerk, es muss nur jemand tun.“ Sehr optimistisch ist Zachmann jedoch nicht, dass sein Vorschlag auf Resonanz stößt. Sein Verdacht: Institutionen wie die Europäische Kommission oder auch die Bundesregierung seien über ihr Herrschaftswissen gar nicht unglücklich. Der Wissensvorsprung verschaffe ihnen in der Debatte schließlich einen unschätzbaren Vorteil.

          Weitere Themen

          Topmeldungen

          Auf dem Werksgelände in Lima: Seit mehr als vierzig Jahren wird hier der Abrams gebaut.

          Wo der Abrams gebaut wird : Die Stadt und das Biest

          In einem kleinen Ort in den USA wird der Abrams gebaut. Bei den Soldaten wird er respektvoll „The Beast“ genannt. Er ist der Stolz der Stadt.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.