Fatale Symbolkraft der Vermögensteuer
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Symbolträchtige Krallen: Der Bundestag ist auch der Hort der Steuergesetzgebung. Bild: SZ
Wer die Vermögensverteilung korrigieren will, muss auch Betriebe belasten. Das schwächt den Standort. Es gibt einen besseren Weg zu mehr Steuergerechtigkeit.
Alle Steuern haben eine materielle und eine immaterielle Dimension. Auf den ersten Blick sind Steuern nichts als erzwungene Geldzahlungen an staatliche Stellen, prosaische Mitteltransfers zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben und Leistungen. Diese Realität lässt sich in Aufkommensschätzungen und Haushaltsentwürfen abbilden. Auf den zweiten Blick entfalten Steuern Symbolkraft und Signalwirkung, geben sie Auskunft über das Verhältnis einer Gesellschaft zum Staat und zur Rolle des Einzelnen in einer rechtlich verfassten Gemeinschaft. Am Ehegattensplitting und den Kinderfreibeträgen verhandelt unser Land mit sich selbst den Übergang von traditionellen Familienbildern zu neuartigen persönlichen Lebensformen. In der ökologischen Ausrichtung des Steuersystems wird aus den Allgemeinformeln der Nachhaltigkeitsdebatte ein praktischer Kostenfaktor für Haushalte und Betriebe. Und im internationalen Ruf nach einer Besteuerung digitaler Großunternehmen artikuliert sich jenseits aller fiskalischen Erwartungen ein globales Unbehagen an der Datenmacht von Google, Facebook und Amazon.
Kaum eine Steuer steht – nicht zuletzt in Wahlkampfzeiten – in ihrer Symbolwirkung so stark im Raum wie die Vermögensteuer. Von den sechs Parteien, deren Vertreter eine reale Aussicht haben, dem nächsten Bundestag anzugehören, verlangen drei ebenso vehement ihre Wiederbelebung, wie sie von den übrigen drei abgelehnt wird. Dieser steuerpolitische Dissens hat keine lange Tradition. Erstmals eingeführt 1893 als „Preußische Ergänzungssteuer“, wurde die Vermögensteuer in der Weimarer Republik auf Reichsebene verstetigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie in das Grundgesetz als Landessteuer aufgenommen und von allen Bundesregierungen – gleich welcher politischen Couleur – bis 1997 fortgeführt. Wer erinnert sich heute noch daran, dass der CSU-Politiker Theo Waigel als Bundesfinanzminister der letzten Regierung Kohl 1995 den Vermögensteuersatz für natürliche Personen schlankerhand von 0,5 Prozent auf 1,0 Prozent verdoppelte?
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