
Vereinigte Staaten : Unbegründete Angst vor Stagnation
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Der frühere Finanzminister Lawrence Summers sieht schwarz für die amerikanische Wirtschaft Bild: dpa
Prominente amerikanische Ökonomen warnen gerade vor einer langen wirtschaftlichen Stagnation. Dagegen gibt es sehr gute Argumente.
Nach dem Höhepunkt der Finanzkrise im Herbst 2008 hatte die amerikanische Wirtschaft die Rezession schon im folgenden Sommer überwunden. Seither blieb das Wachstum mit einem Tempo von durchschnittlich etwa 2 Prozent aber gering. Für eine wachsende Bevölkerung ist das nicht viel, erst recht nicht, wenn man es mit den Wachstumsraten seit den achtziger Jahren vergleicht. Immerhin hat die Wirtschaftsleistung je Kopf das Vorkrisenniveau überschritten. Doch ein halbes Jahrzehnt nach der Finanzkrise laborieren die Vereinigten Staaten noch immer an den Folgen.
Die herkömmliche Erklärung für die Dauer der schleppenden Erholung ist, dass Finanz- oder Überschuldungskrisen lange brauchen, bis sie geheilt sind. Diese Erkenntnis haben die Analysen der Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff eindrucksvoll untermauert. Es braucht Zeit, bis wirtschaftliche Akteure und dabei vor allem die privaten Haushalte nach einer rauschenden, auf Pump finanzierten Party den Kater überwunden und ihre Überschuldung auf ein Normalmaß abgetragen haben.
Amerikaner aber sind ungeduldig. Lawrence Summers, der frühere Finanzminister, und Paul Krugman, der Nobelgedächtnispreisträger für Wirtschaftswissenschaften, wärmen derzeit die alte These der säkularen, der dauerhaften Stagnation wieder auf. Danach führt eine Mischung von schrumpfender Bevölkerung und schrumpfenden Investitionsmöglichkeiten, von einem Überangebot an Sparkapital und einer zu geringen Nachfrage, in dauerhaft geringes Wachstum. Der reale, inflationsbereinigte Zinssatz, der Sparen und Investitionen ins Vollbeschäftigungsgleichgewicht brächte, liege niedriger als 0 Prozent, so dass die Geldpolitik machtlos sei oder die Konjunktur nur um den Preis finanzieller Verwerfungen anschieben könne. So kommt Summers zu der These, dass sich in der säkularen Stagnation Finanzmarktblasen und wirtschaftlicher Stillstand abwechseln. Den Ausweg böten staatliche Investitionsausgaben.
Die Regulierung belastet Kreditmärkte und Wachstum
Das ist überraschend. Der Wachstumspessimismus, den Summers’ These der säkularen Stagnation zeigt, entspricht so gar nicht dem Wirtschaftsoptimismus der Amerikaner. Das mag der interessanteste Aspekt in der Debatte bleiben. Denn Summers ist wenig überzeugend in der Begründung, warum denn auf einmal ein Zeitalter der Stagnation ausgebrochen sein solle. Nachdem die fiskalischen Stimuli der direkten Nachkrisenzeit vorhersehbar nur temporär wirkten, scheinen die keynesianischen Befürworter nun nach neuen Argumenten zu suchen, um neue schuldenfinanzierte Investitionsprogramme aufzulegen.
Die Gegenposition ist, dass die langsame Erholung der Nachkrisenzeit seit 2009 auch angebotsseitig zu begründen sei. Die Anhäufung neuer Schuldenberge mit dem Risiko künftig höherer Steuerlasten erhöht die Unsicherheit für Investitionen ebenso wie die ungebremste monetäre Expansion mit künftigen Inflationsrisiken. Die drastisch verschärfte Regulierung der Finanzwirtschaft belastet Kreditmärkte und das Wachstum – ebenso wie die von der Obama-Regierung vorangetriebene Regulierung der Märkte für Gesundheit, Krankenversicherungsschutz und Energie. Wachstumsfördernde Reformen wie eine Überholung der Unternehmensteuer, deren Sätze in Amerika neben Japan zu den höchsten in der Welt gehören, bleiben aus.
Schulden und zubetonierte Landschaften
Wirtschaftspolitisch hat der Kongress so viele Möglichkeiten, einer möglichen dauerhaften Stagnation entgegenzuwirken, ohne sofort wieder in schuldenfinanzierte Ausgaben zu springen. Solche Reformen dürften wie so oft in der Geschichte zeigen, dass Wachstumspessimismus nicht angezeigt ist. Dem gewichtigsten Argument für die These der säkularen Stagnation, der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung, steht in Amerika ohnedies entgegen, dass das Land für Einwanderer höchst attraktiv ist.
Der mahnende Verweis auf japanische Verhältnisse reicht als Beleg für eine drohende Dauerstagnation und die Notwendigkeit fiskalischer Abhilfe jedenfalls nicht aus. Erstens hat das Land sich sein demographisches Problem selbst eingehandelt, indem es sich nie für Zuwanderung öffnete. Zweitens war in Japan von befreienden Wirtschaftsreformen, die der Binnenwirtschaft neue Dynamik geben, seit den neunziger Jahren nicht viel zu sehen. Ob die jetzige Regierung mit den sogenannten Abenomics Erfolg haben wird, ist noch offen.
Japans „verlorene Jahrzehnte“ taugen aber vor allem deshalb nicht als Beleg für eine notwendigerweise drohende dauerhafte Stagnation, weil das Land seine Bankenkrise zunächst über Jahre schleifen- und die Störungen an den Kreditmärkten sich verschlimmern ließ. Im Gegensatz dazu haben die Vereinigten Staaten und – in geringerem Maße die Europäer – ihre Banken schnell zur Rekapitalisierung und Bilanzsanierung gezwungen. Insoweit hat der Westen vom Osten gelernt. Das sollte er auch in Sachen schuldenfinanzierte Wachstumsprogramme. In Japan gab es davon seit den Neunzigern viele. Sie endeten allein in zubetonierten Landschaften und einer exorbitant gestiegenen Staatsschuld.