
Unternehmensgeschichte : Das Schweigen im Hause Quandt
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Herbert und Johanna Quandt - Archivbild aus dem Jahr 1971 Bild: dpa
Die Quandts werden mit der Vergangenheit konfrontiert. Die Verdrängung funktioniert nicht mehr. Die historische Frage wird bald gelöst sein, die moralische noch lange nicht. Ein Kommentar von Rainer Hank.
Die Unternehmerfamilie Quandt lässt die Rolle der Familie in Nazi-Deutschland aufarbeiten. Die Meldung stammt nicht aus dem Jahr 1950. Sie kommt auch nicht aus der Spätachtundsechzigerzeit. Sie datiert aus der vergangenen Woche.
Mehr noch: Nicht das familiäre Interesse am Verhalten der Vorfahren zwei Generationen früher gab den Ausschlag für das Forschungsprojekt, sondern äußerer Druck, dem mit Schweigen allein nicht mehr zu begegnen war. Ein Fernsehfilm, gezeigt in der ARD, hat vorgeführt, wie Harald Quandt, Gründer des Clans, in der Nazi-Zeit sich an der Herstellung kriegswichtigen Materials beteiligte, wozu KZ-Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen gezwungen wurden. Der Vorwurf ist so ungeheuerlich wie zwingend: Das heutige Vermögen der Familie beruht auf der Ausbeutung von Zwangsarbeiter.
In bester deutscher Gesellschaft
Die Quandts sind in bester deutscher Gesellschaft. Die Jahre zwischen 1933 und 1945 kamen lange Zeit in den Jubiläumsbroschüren der Firmen nur am Rande vor. Weder Familienunternehmen noch große börsennotierte Aktiengesellschaften spürten eine Notwendigkeit zur kritischen Aufarbeitung der Vergangenheit. „Schweigen und weglassen“ hieß die Devise: Der Medienkonzern Bertelsmann erwähnte zwar, dass der Verlag in den letzten Kriegsjahren geschlossen wurde, und ließ zu, deshalb als Opfer der Nazis zu erscheinen. Dass man aber jahrelang vom Druck widerlicher Landserheftchen profitierte, blieb unerwähnt. Erst die Diskussion um die Rolle Schweizer Banken als willige Dienstleister der Nazis führte seit Mitte der neunziger Jahre dazu, dass deutsche Großkonzerne sich ihrer Vergangenheit stellten - fünfzig Jahre nach Ende des Krieges. All das geschah nicht wirklich freiwillig. Vor allem in den Vereinigten Staaten drohte ein erheblicher Imageschaden, wenn nicht gar Boykott der Produkte, hätte man sich der Aufklärung verweigert.
Mutig kann man das alles gewiss nicht nennen. Und möglich wurden die Analyse erst, als viele maßgeblichen Akteure entweder alt oder tot waren. Gleichwohl: Die Geschichte des Volkswagenwerkes oder der Deutschen Bank zählen zu bahnbrechenden Arbeiten, die schonungslos ihre Nazi-Geschichte durch international anerkannte Historiker aufgearbeitet haben. Viele weitere Unternehmensgeschichten folgten den Pionieren. Der Druck zur Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit wurde zum Beginn einer Firmengeschichtsschreibung in Deutschland, die akademischen Ansprüchen standhält. Lange hat es gedauert.
Die moralische Frage wird noch lang nicht gelöst sein
Warum so lange? Der rasche Wiederaufbau Westdeutschlands aus den Trümmern des „Dritten Reiches“ erschien Zeitgenossen wie ein Wunder. Der Mythos der „Stunde null“ und Ludwig Erhards marktwirtschaftlicher Durchbruch in der Nachkriegszeit boten die willkommene Chance, die Kontinuität der deutschen Unternehmensgeschichte im 20. Jahrhundert zu leugnen. Ein Drittel der Industrieanlagen war 1945 weniger als fünf Jahre alt, also ziemlich neu. Die Nazis hinterließen eine moderne Wirtschaft und tüchtige Unternehmer.
Die historische Frage wird bald gelöst sein, die moralische noch lange nicht. Gewiss: Wer heute Aktien der Degussa (jetzt: Evonik) kauft, hat nichts mit der Produktion von Zyklon B zu tun, welches damals eine Degussa-Tochter herstellte. Und wer heute die Mehrheit an BMW hält - die heutigen Quandts -, hat 1942 nicht Zwangsarbeiter bei Afa in Hannover, einem Quandt-Werk, beschäftigt. Aber die Einsicht, dass heutiger Erfolg sich - auch - aus erfolgreichem Wirtschaften der Väter und Großväter mit Verbrechern speist, müsste zumutbar sein.

Freier Autor in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
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