Vice-Gründer Shane Smith : Bad Boy
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Shane Smith ist eine seltene Mischung aus Punkrocker und Geschäftsmann. Bild: Jesse Dittmar/Redux/Redux/laif
Shane Smith hat das Punk-Magazin Vice im Netz zum Zentralorgan der Generation Handy gemacht. Mit Draufgängertum und Rotzigkeit. Jetzt will er das Fernsehen neu erfinden. Ob ihm das gelingt?
Ein Tag im September in New York City. Vor einem Theater im Süden Brooklyns strömen Massen mitteljunger, mittelseltsam gekleideter Leute aus Bussen, sie drängen ins Dunkel des Theaters, nehmen auf dem Weg kostenloses Popcorn mit. Es sind alle Angestellten von Vice in New York, die zu einer Veranstaltung kommen, die ihr Chef, der Mitgründer und Mitinhaber von Vice, Shane Smith, „State of the Union“ nennt – so wie der amerikanische Präsident seine Rede zur Lage der Nation.
Hier aber geht es nicht um die Lage Amerikas, sondern um die Lage von Vice. Das war einst ein kostenloses PunkMagazin aus Kanada namens Voice of Montreal, gegründet 1994. Heute ist Vice ein Medienkonzern mit Hauptsitz im New Yorker Hipster-Paradies Williamsburg, der das Internet erobert hat und in irrem Tempo wächst – so schnell, dass mancher Mensch über 40 noch gar nicht mitbekommen hat, dass es Vice überhaupt gibt. Die meisten Menschen unter 30 aber wissen das sehr wohl. Vice ist das Zentralorgan der Generation Handy (18 bis 34 Jahre alt), nicht nur in Amerika, sondern auch in vielen anderen Ländern der westlichen Welt. Auch in Deutschland gibt es eine eigene Redaktion.
Vice ist 4 Milliarden Dollar wert
Doch darum geht es nicht an diesem Septembertag im Theater. Shane Smith, ein Bär von einem Mann, fläzt sich in einen Sessel auf der Bühne und spricht über seinen nächsten Schritt. Vice baut gerade einen eigenen Fernsehsender auf: Viceland. Schon seit Monaten arbeiten Hunderte junger Leute an neuen Shows dafür. Bislang macht Vice nur eine Dokumentarsendung für den Bezahlsender HBO, jetzt will Smith einen kompletten eigenen Sender mit Inhalten befüllen. Einige Wochen nach seinem „State of the Union“-Auftritt in Brooklyn wird Smith einen Deal mit dem Medienkonzern A&E Networks schließen, der seine Beteiligung an Vice ausbaut und im Gegenzug einen Sender an Vice abgibt. Smith wird verkünden, dass Viceland im kommenden Februar startet. Vice wird nach dieser Investition auf einen Wert von 4 Milliarden Dollar geschätzt. Und da der größte Teil der Firma weiterhin Smith gehört, ist er nun zumindest auf dem Papier Milliardär.
An dem Nachmittag im September werden schon mal Ausschnitte der neuen Shows gezeigt. Sie tragen Namen wie „Fuck, that’s delicious“, eine Sendung, für die ein langbärtiger, sehr gut genährter Rapper namens Action Bronson durch die Welt reist und Essen probiert. Oder „Gaycation“, eine Sendung, die das Leben von Lesben und Schwulen in aller Welt zeigt und beispielsweise beim Coming-out eines japanischen Jungen live dabei ist, inklusive einer Szene, in der die Mutter des Jungen entsetzt aus dem Haus flieht. Das ist gut gefilmt, lässig, rotzfrech, manchmal lustig, öfter aber verstörend ernst.
Größenwahn gehört bei Smith zum Geschäftsprinzip
Am Schluss, nach den Vorführungen, hält Smith eine Rede, die gar nicht dazu passt, dass er dabei locker über die Bühne schlurft. „Wir werden das viertgrößte Medienunternehmen der Welt sein“, kündigt er an, hält kurz inne, schaut zum Mitgründer Suroosh Alvi und erhöht: „Wir werden verdammt noch mal das größte Medienunternehmen der Welt werden.“ Genau genommen sagt er: „The fucking biggest media company in the world.“ So spricht man bei Vice.
Das erscheint größenwahnsinnig für eine Firma, die vor wenigen Jahren noch keiner kannte. Aber immerhin kann man Shane Smith nicht vorwerfen, dass er sich zu kleine Ziele setzt.
Geboren wird er vor 46 Jahren in Kanada als Sohn eines hochintelligenten Programmierers, der seinen Sohn am Wochenende statt zum Fußballspielen auf den Schrottplatz mitnimmt, um ihm beizubringen, wie man ein defektes Auto wieder zum Laufen bringt. Das endet erst einmal in einer halbherzigen Rebellion. Seine Jugend verbringt Smith seiner persönlichen Legende nach zwischen Partys, Drogen (Freunde sind angeblich an einer Überdosis gestorben), der Lektüre von Solschenizyn und einem erfolgreichen Politik-Studium. Danach zieht er durch Europa, sucht das Abenteuer. Zeitweise verdingt er sich als Journalist, etwa auf dem Balkan. In den frühen Neunzigern verdient er Geld mit Währungs-Arbitragegeschäften in Budapest.