
Kommentar : Versicherungstanker auf Kurssuche
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Muss auf die richtigen Geschäftsfelder setzen: Joachim Wenning, der neue Vorstandsvorsitzende der Munich Re. Bild: dpa
Joachim Wenning, der neue Vorstandschef der Munich Re, muss den Konzern neu erfinden. Vor diesem Problem steht die gesamte Branche. Denn eine Konkurrenz ist schnell.
Der Wechsel an der Vorstandsspitze des größten Rückversicherers der Welt ist ein seltenes Ereignis. Bei der Münchener Rück hat es, seit der Konzern von Carl von Thieme im vorvergangenen Jahrhundert gegründet wurde, erst acht Vorstandsvorsitzende gegeben. Nun wird Joachim Wenning die Nummer neun. Der Neue, der so neu gar nicht ist, hat seit gesamtes Berufsleben im Konzern verbracht, arbeitete schon acht Jahre im Vorstand unter seinem Vorgänger Nikolaus von Bomhard. So ist seine Ernennung nach der Hauptversammlung an diesem Mittwoch zunächst ein Zeichen der Kontinuität. Kurs halten, lautet die Devise.
Das wird in Zeiten wie diesen zu wenig sein. Seit 1880 versichert die Münchener Rück Erstversicherer in aller Welt. Das Geschäft mag immer wieder von unvorhergesehenen Naturkatastrophen überschattet sein, im Großen und Ganzen wirft es auskömmliche Margen ab. Unaufgeregt hat Bomhard den Konzern, der sich inzwischen Munich Re nennt, selbst durch die Wirren der Wirtschafts- und Finanzkrise gesteuert. Doch seit vier Jahren sinkt der Gewinn des Münchner Marktführers, und Bomhard ist am Ende seiner Amtszeit die Trendwende nicht gelungen.
Neue Wettbewerber und geringe Margen
Die Aussichten haben sich für die Versicherer der Versicherer spürbar verschlechtert. Risiken zu übernehmen ist nicht mehr allein Rückversicherern vorbehalten. In der Absicherung von Industrierisiken gibt es inzwischen immer größere Selbstbehalte der Rückversicherungskunden. Und angesichts historisch niedriger Zinsen dringen neue Wettbewerber wie Pensionsfonds oder Hedgefonds in das angestammte Geschäft ein.
Die Preise für Katastrophenanleihen und andere verbriefte Versicherungsrisiken sind ins Rutschen gekommen, die Margen schrumpfen. Die Lebensversicherer wiederum, die im Auftrag ihrer Kunden Milliarden anlegen, müssen früher eingegangene, hochverzinsliche Garantieversprechen erfüllen, doch finden sie kaum lukrative Investitionsmöglichkeiten. In der Munich Re und ihrer verlustreichen Erstversicherungsgesellschaft Ergo schmelzen die Kapitalanlageerträge unaufhörlich.
Versicherer müssen sich neu erfinden und mehr bieten
Die größte Herausforderung stellt die Digitalisierung dar. Immer mehr Menschen kaufen Versicherungen im Internet, vor allem junge Kunden suchen nicht zuerst den Versicherungsmakler auf. Der Online-Absatz hat sich in Deutschland in zehn Jahren vervierfacht. Junge Unternehmen aus der Insurtech-Szene mischen den Markt auf. Sie bieten dem Käufer einer Kamera oder eines Surfbretts Versicherungen über das Smartphone an, sie versichern die spontan geplante Mountainbike-Tour im selben Augenblick, sie belohnen gesundheitsbewusste Ernährung und den Besuch des Fitnessstudios mit Rabatten auf die Versicherungsprämie.
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Mehr erfahrenDie Assekuranz muss sich neu erfinden. Der Unfallversicherer muss nicht mehr nur den Schaden regulieren, sondern helfen, dass dieser möglichst nicht eintritt; der Krankenversicherer muss nicht nur Geldleistungen bieten, sondern eine Gesundheitsfürsorge.
Allianz ist bereits im Umbau
Die Digitalisierung verändert auch die Rückversicherung. Selbstverständlich müssen auch in Zukunft Naturkatastrophen versichert werden und in Zeiten des Klimawandels womöglich mehr denn je. Gleichzeitig birgt die neue digitale Welt neue große Risiken. Vernetzte Maschinen müssen ebenso vor Hackerangriffen geschützt werden wie selbstfahrende Autos. Das ist einerseits ein neues und womöglich sehr lukratives Geschäftsfeld. Andererseits werden selbstlernende Maschinen und selbstfahrende Autos dazu beitragen, dass weniger Schäden eintreten. Weniger Schäden heißt auch, dass weniger Versicherungen benötigt werden. Das Versicherungsgeschäft wird hier schrumpfen.
Darauf muss sich die Branche vorbereiten. Besonders beherzt leitet die Allianz unter ihrem dynamischen Vorstandsvorsitzenden Oliver Bäte den Umbau ein. Bäte ist in dem ebenfalls recht konservativen Konzern, der sich in Fragen der Kontinuität mit dem Münchner Nachbarn durchaus messen kann, erst die Nummer zehn an der Vorstandsspitze. Vor zwei Jahren trat er mit dem Ziel an, die Allianz zu modernisieren, solange die Milliardengewinne den nötigen Spielraum dafür schaffen. Er erhöhte das Tempo und den Druck auf die Mitarbeiter. Das kam bei vielen nicht gut an.
Versicherer kaufen Aktien zurück
In die Kritik des Kapitalmarktes geriet Bäte, als er forsch eine Milliardenübernahme in Aussicht stellte – und dann nicht lieferte. Weil ihr die Investition in das eigene Geschäft nicht gelungen ist, legte die Allianz ein Aktienrückkaufprogramm auf. Die Munich Re kauft schon seit Jahren für etliche Milliarden eigene Aktien zurück und hievt so die Dividendenrendite ihrer Aktionäre auch dann auf ein anspruchsvolles Niveau, wenn die Geschäfte nicht so gut laufen. Das ist solide, aber auch phantasielos.
Der neue Munich-Re-Chef muss den Umbau mit ebenso großem Eifer angehen wie der Allianz-Chef. Er muss im Megatrend der Digitalisierung auf die richtigen Geschäftsfelder setzen und sollte in der Neuerfindung des Konzerns Bätes Fehler vermeiden. Für die Munich Re könnte das der Königsweg in den kommenden Jahren sein: ein bisschen mehr Bäte, etwas weniger Bomhard – und danach wieder Kurs halten.
