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Streik-Kommentar : Ryanairs Versäumnis

  • -Aktualisiert am

Ryanair-Chef Michael O’Leary auf einer Pressekonferenz im März 2018 in Brüssel. Bild: Reuters

Ab wann wird Sparsamkeit zur Drangsalierung? Dem Ryanair-Chef fehlt der Kompass dafür.

          3 Min.

          Ryanair-Chef Michael O‘Leary findet sich mit dem Streik seiner Piloten in einer neuen Rolle wieder. Über Jahre piesackte er etablierte Fluggesellschaften mit Niedrigpreisen und belustigte die Öffentlichkeit mit bizarren Forderungen nach Stehplätzen oder einer Toilettengebühr über den Wolken. Eingeführt wurde nichts davon. Ihm ging nur darum, das Bild eines brachialen Managements zu zeichnen, das an möglichst vielem spart, damit zumindest einige Reisende Supersonderpreise ergattern.

          Im Konflikt mit den eigenen Beschäftigten – mit Piloten und Flugbegleitern – fehlt O‘Leary aber der Kompass, ab wann Kostenbewusstsein in Übereifer umschlägt und ab wann Sparsamkeit als Drangsalierung von Mitarbeitern wahrgenommen wird. Das bringt ihn in die Defensive. Vom kraftvollen Auftritt, mit dem Ryanair im Frühjahr den Rekord von 130 Millionen Passagieren und das Aufschließen zum Lufthansa-Konzern illustrierte, ist im Tarifkonflikt nicht mehr viel geblieben. Die Höchstwerte hatte der Billigflieger dafür genutzt, sich zur beliebtesten Fluggesellschaft Europas zu erklären – ein Mätzchen nach dem Geschmack des Chefs.

          Niedrigpreise gleich prekäre Arbeitsverhältnisse?

          Mit derselben Logik könnte man eine von Stauungen blockierte Autobahn zur beliebtesten Fahrstrecke ausrufen. Es fehlte dann nur noch, dass Ryanair sich zum besonders beliebten Arbeitgeber deklarierte, da eine Flotte mit mehr als 400 Flugzeugen in mehreren Schichten von Tausenden Piloten durch die Lüfte gelenkt wird. Glaubwürdig ist das nicht, das Aufbegehren des Personals belegt das Gegenteil.

          Was Passagiere mit ihrem Unmut über skurrile Aufschläge nicht geschafft haben, das erledigen die Arbeitnehmer: Sie treiben das Management in der Enge. Ihnen hilft, dass in der aktuellen Wachstumsphase der europäischen Luftfahrt nicht die Passagiere knapp sind, sondern die Piloten. Die Streichung von 20000 Flügen im Winter hatte Ryanair noch als Folge eines internen Planungsfehlers ausgegeben. Andere diagnostizierten schon damals einen Exodus der Piloten. Diese Warnung war in Dublin offensichtlich nicht Lehre genug. Ryanair beharrt darauf, sein Geschäftsmodell nicht zu ändern.

          Dabei müssen Korrekturen in der Personalpolitik nicht zum Niedergang des Billigflugs führen. Fluggesellschaften haben neben Löhnen und Arbeitsbedingungen genügend weitere Stellschrauben, um Kosten zu senken. Dass Niedrigpreise automatisch prekäre Arbeitsverhältnisse schaffen, ist eine simple Formel, die in ihrer Schlichtheit falsch ist. Vermeintlicher Geiz von Reisenden ist nie die alleinige Ursache für widrige Arbeitsbedingungen. Es ist auch nicht der harte Wettbewerb am Himmel. Ryanair flog zuletzt einen Milliardengewinn ein.

          Bruch mit dem eigenen Tabu

          Mit dem Geschäftsmodell Billigflug hat Ryanair zur Demokratisierung des Fliegens beigetragen. Ein Flugticket ist kein Luxusgut mehr. Dabei ist es kein Kinderspiel für Airlines, mit Niedrigpreisen zu bestehen und zu wachsen. Air Berlin ist daran gescheitert. Als Argument für einen Abgesang auf das Geschäftsmodell taugt das nicht: Die Lücke, die durch das Aus der Berliner entstanden ist, wurde nahezu komplett durch Günstiganbieter gefüllt – vor allem durch Easyjet und Eurowings. Das Geschäftsmodell Billigflug ist von einer Variante der Luftfahrt zum Standard auf kürzeren Strecken geworden.

          Diesen Weg hat Ryanair bereitet – und schnell Nachahmer gefunden. Für die nächste Phase im neuen Billigflugwettkampf muss Ryanair zahlreiche sonderliche Erkennungsmerkmale abstreifen. Starts irgendwo in der Provinz waren keine Strukturförderung für ländliche Räume – auch wenn manch ein Kommunalpolitiker das geglaubt haben dürfte. Dort waren Gebühren halt niedriger und kostenträchtige Standzeiten kürzer. Die Nachfrage für Flüge von Provinz A nach Provinz B hatte Ryanair nahezu komplett abgegriffen. Der Bruch seines Tabus, Großflughäfen wie Frankfurt anzusteuern, fiel O‘Leary daher leicht.

          Auftakt einer langen Auseinandersetzung?

          Schwerer tut er sich damit, sich auf selbstbewusstere Arbeitnehmer einzustellen, obwohl Ryanair mittlerweile Gewerkschaften als Verhandlungspartner anerkennt. Aber Arbeitnehmervertreter wissen nur zu gut, dass Ryanair solche Kehren nicht aus gutem Willen fliegt. Das gilt auch für die Abkehr von einem System, in dem Piloten nicht fest angestellt sind. Was Juristen als Scheinselbständigkeit geißeln, hat Ryanair lange verteidigt. Erst das wachsende Interesse von Staatsanwälten führte zu einem Ablaufdatum.

          Wer in der nächsten Phase des Billigflugwettkampfs bestehen möchte, kann nicht nur auf noch über engere Stuhlreihen und noch mehr Druck auf das Personal setzen. Wie es besser geht, zeigen Gesellschaften wie Easyjet und die Lufthansa-Marke Eurowings. In Dublin fehlt aber noch diese Einsicht, wenn Ryanair Gewerkschaftsforderungen mit der Bemerkung zurückweist, nicht wie Lufthansa werden zu wollen.

          Die Ironie daran ist, dass Ryanair gerade dadurch ein Lufthansa-Schicksal droht. Den Konzern hat ein jahrelanger Tarifkampf mit Piloten vorübergehend um seine Zuverlässigkeit gebracht. Der Streik bei Ryanair an diesem Freitag kann der Auftakt einer langen Auseinandersetzung sein. Und die kann zur größeren Last werden als ein zähneknirschend akzeptierter Tarifvertrag.

          Timo Kotowski
          Redakteur in der Wirtschaft.

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