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Wintershall Dea und Russland : Deutschlands größter Gasförderer sitzt in der Falle

Wintershall in Sibirien: Gasrohre eines Gemeinschaftsunternehmens mit Gazprom und Ruhrgas Bild: Frank Röth

Wintershall zahlt für seine Russland-Geschäfte einen hohen Preis. Die Gewinne sprudeln, aber der Konzern bekommt sie nicht aus dem Land und sucht nach einem Ausstieg.

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          Der Gas- und Ölförderer Wintershall Dea hat Dank der stark gestiegenen Gaspreise seinen Rohgewinn im dritten Quartal auf fast 2,6 Milliarden Euro erhöht. Das bedeutet einen Anstieg um 160 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die „blutigen Profite“, von der die Deutsche Umwelthilfe am Dienstag sprach, kommen allerdings bei Wintershall nicht an. Mehr noch: der Konzern sucht händeringend einen Ausstieg aus Russland.

          Bernd Freytag
          Wirtschaftskorrespondent Rhein-Neckar-Saar mit Sitz in Mainz.

          Auf russischen Konten seien mittlerweile 2 Milliarden Euro gesperrt – Geld, das Wintershall nicht aus dem Land holen könne und das täglich mehr werde, wie Finanzvorstand Paul Smith bei der Vorlage der Quartalsbilanz sagte. Glaubt man dem Wintershall-Vorstand, dann würde er sich lieber früher als später von seinen Russland-Aktivitäten trennen. Das ist nach seiner Darstellung allerdings überaus schwierig: Nach den Worten von Konzernchef Mario Mehren müsste der Verkauf der russischen Förderlizenzen von der russischen Regierung genehmigt werden. Das sei aber nicht zu erwarten. Verhandlungen mit dem Staat gebe es deswegen aktuell genauso wenig wie Gespräche mit möglicherweise interessierten anderen Unternehmen.

          BASF versucht Deal mit Michail Fridman

          Um sich aus Russland zu lösen, sucht Mehrheitseigentümer BASF offenbar einen Deal mit dem zweiten Großaktionär, dem russischstämmigen Oligarchen Michail Fridman. Der könnte die Förderaktivitäten in Russland bekommen, im Gegenzug seine Wintershall-Anteile an BASF verkaufen. Eine dergestalt dann „russlandfreie“ Wintershall könnte im Anschluss dann doch noch wie geplant an die Börse gebracht werden. Ob sich der streitbare russische Investor angesichts seiner erstarkten Position darauf einlässt, und wie viel er bereit wäre zu bezahlen, ist allerdings nicht klar.

          Mehren bestätigte nur, dass der Konzern sich strategisch neu aufstelle und dabei auch prüfe, das internationale vom russischen Geschäft zu trennen. Eine Lösung, so sie denn zustande käme, wäre allerdings eher eine Frage von Monaten, sagt er. Wintershall hatte nach dem Überfall auf die Ukraine alle Investitionen gestoppt, erfüllt aber nach eigenem Bekunden seine vertraglichen Verpflichtungen. Ein Rückzug würde nach Mehrens Worten nur bedeuten, dass milliardenteure Förderlizenzen in Sibirien ohne Gegenleistung an den russischen Staat fallen würden. Kritiker um die Deutsche Umwelthilfe monieren allerdings, dass der Konzern mit seinen Steuern den Machtapparat Putins und damit den Krieg mitfinanzierte.

          Tatsächlich fördert Wintershall Dea in Russland Gas auf eigene Rechnung, ist allerdings verpflichtet, es vor Ort an den Gasmonopolisten Gazprom zu verkaufen. Das Unternehmen hat nach eigenem Bekunden keinen Einfluss darauf, ob und wann wieder Gas durch die zerstörte Pipeline Nord Stream I fließt, wiewohl der Konzern Miteigentümer ist. Den anteiligen Wert der Röhre hat Wintershall um 175 Millionen Euro abgeschrieben, sie steht noch mit 300 Millionen Euro zu Buche. Die Finanzierung der zweiten Röhre, Nord Stream II, hat der Konzern bereits abgeschrieben.

          Bilanz mit und ohne Russland-Geschäft

          Mehren sagte, bevor die staatlichen Untersuchungen zu der Sabotage an den Röhren abgeschlossen seien, könne Wintershall keine Aussagen treffen, wie und ob es mit der Pipeline weitergehe. Finanzvorstand Smith warnte indirekt zugleich vor weiteren Bedrohungen der Förderanlagen, diesmal in Norwegen. Über den Plattformen werden nach seinen Worten verstärkt Drohnen gesichtet. Staatliche Stellen und die Betreiber seien gleichermaßen alarmiert, man nehme die Bedrohungen sehr ernst.

          Gemessen am Fördervolumen machte Russland im dritten Quartal noch die Hälfte aus, gemessen am Rohgewinn allerdings „nur“ noch ein Viertel. Smith begründete die Differenz damit, dass russisches Pipeline-Gas zum Großteil über langfristige Verträge verkauft werde. Die hohen Spotmarkt-Preise würden sich deshalb geringer bemerkbar machen. Das norwegische Gas kann der Konzern zwar teurer verkaufen, allerdings zahlt er dafür auch viel mehr Steuern.

          Seit dem Überfall auf die Ukraine weist Wintershall die Bilanz mit und ohne Russland-Geschäft aus. Nach neun Monaten ist der Rohgewinn Ebitdax – grob Umsatz minus Förderkosten – bei leicht gestiegenen Fördermengen von 2,3 Milliarden Euro auf 6,2 Milliarden Euro gestiegen. Ohne Russland wären demnach 4,7 Milliarden Euro geblieben. Die Wertberichtigungen auf die russischen Aktivitäten und nicht zuletzt die deutlich anziehenden Steuerzahlungen in Norwegen haben den Großteil des Anstiegs unterm Strich allerdings wieder wett gemacht. Der Überschuss ist im Jahresvergleich um vergleichsweise geringe 40 Millionen auf 475 Millionen Euro gestiegen.

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