Richard Oetker im Interview : „Die Entführung hat mir viel Kraft gegeben“
- Aktualisiert am

In seinem ersten Interview als Chef der Bielefelder Oetker-Gruppe spricht Richard Oetker offen über seine Entführung Bild: Anna Mutter
Richard Oetker, Gesellschafter der Dr. August Oetker KG, spricht über seine Entführung vor 35 Jahren, die das ganze Land bewegte. Im F.A.Z.-Interview erzählt er, wie es seine Persönlichkeit verändert hat, dass er dem Tod ins Auge blickte.
Herr Oetker, denken Sie manchmal darüber nach, wie Ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn Sie vor 35 Jahren nicht Opfer einer grausamen Entführung geworden wären?
Nein, ich denke da nicht groß drüber nach. Ich bin heute ein sehr glücklicher Mensch. Gleichwohl wäre mein Weg sicherlich ein anderer gewesen. Aber im Zusammenhang mit der Entführung habe ich unheimlich interessante Menschen kennengelernt: Polizisten, Staatsanwälte, Richter, Mediziner. Mit denen wäre ich normalerweise nie in Kontakt gekommen. Außerdem interessierte sich ja früher kein Mensch für mich, Gott sei Dank. Doch auf einmal wurde ich ein interessanter Mensch. Es kam mir so vor, als wenn ich von einer großen Hand von einem Leben in ein anderes geworfen worden wäre, weil sich viele Menschen von diesem Zeitpunkt an anders verhielten als zuvor.
Wieso?
Wir Menschen können mit anderen Menschen nur schwer umgehen, die einem Schicksalsschlag ausgesetzt sind. Wir sind gehemmt. Einerseits wollen wir nicht in die Intimsphäre des anderen eindringen und nach dem Erlebten fragen. Andererseits wissen wir nicht, wie wir Mitleid bekunden sollen. Das führt im Extrem dazu, dass sich Menschen abwenden. Wer auf irgendeine Art Opfer geworden ist, steht also oft isoliert und allein da. Damit müssen Sie erst einmal zurechtkommen.
Wollten Sie denn über die Erlebnisse sprechen?
Ich wollte gern darüber sprechen, musste dann aber feststellen, dass sowohl Freunde als auch Teile der Familie einfach gehemmt waren, darüber zu reden. Und das ist sogar heute noch so. Damit hat man auf einmal ungewollt eine Sonderrolle.
Und trotzdem können Sie sagen, Sie seien ein glücklicher Mensch?
Das liegt unter anderem daran, dass ich von der Grundstruktur her ein großer Optimist bin. Als ich gefesselt in dieser Kiste lag, habe ich mich nach einer gewissen Schockphase gefragt: Was mache ich denn jetzt? Und ich sagte mir: Irgendwie, irgendwann komm ich hier schon wieder raus. Und auf diesen Zeitpunkt bereite ich mich jetzt vor. Also versuchte ich, mit meinem Entführer einen umgänglichen Kontakt aufzubauen. Der Entführer siezte mich. Da habe ich ihm gesagt, in dieser Situation würde ich von derartigen Höflichkeitsfloskeln nichts halten, er solle mich doch duzen. Und da sagte er: „Ja, Richard, jetzt willst du wohl noch meinen Namen wissen.“ Da sagte ich: „Natürlich, ja.“ Da hatte ich Galgenhumor, ich war ja noch nicht verletzt. Daraufhin schlug er vor, ich solle mir einen Namen einfallen lassen für ihn. Da fiel mir der Spitzname eines guten Freundes von mir ein, Checker. Er hielt das erst für eine Falle, aber dann hat er den Namen akzeptiert.
Wie ging es dann weiter?
Ich habe versucht, so viel wie möglich um mich herum wahrzunehmen und mir einzuprägen. Das hatte einen positiven psychologischen Effekt: Es hinderte mich daran, darüber nachzudenken, was alles schiefgehen könnte. Ich habe nicht phantasiert, bin nicht in Selbstmitleid zerfallen, sondern ich war aktiv. Nach der Freilassung sprudelte das Erlebte nur so aus mir heraus. Der arme Polizist, der mich da im Wald gefunden hatte, konnte gar nicht so schnell mitschreiben. Auch danach musste ich natürlich immer wieder über das Geschehen sprechen. So habe ich mir das ganze Thema sehr schnell von der Seele geredet. Deswegen hatte ich auch nie psychische Probleme. Trotzdem schickte man mir einen Psychiater im weißen Kittel. Und wissen Sie, wie der hieß? Dr. Angstwurm (lacht). Nach zwei Sitzungen war klar, dass ich dessen Hilfe gar nicht brauchte.