Hunderte Millionen Euro : Wollte Toll Collect den Bund betrügen?
- -Aktualisiert am
Eine Kontrollstelle zur Erfassung der Maut in Brandenburg Bild: dpa
Der Mautbetreiber zieht für den Bund die Lkw-Maut ein. Das dahinterstehende Konsortium soll jahrelang zu viel Geld abgerechnet haben – es geht um Hunderte Millionen Euro.
Kurz vor der vorübergehenden Verstaatlichung des Mautbetreibers Toll Collect machen Gerüchte die Runde, das Unternehmen habe einen dreistelligen Millionenbetrag zu viel abgerechnet. Außer Leistungen zur Erhebung der Lastwagen-Maut habe Toll Collect dem Bund Ausgaben für das Sponsoring einer Oldtimer-Ralley, einen Führungskräfteausflug in ein Wellness-Hotel und ein soziales Engagement als „Marketingkosten“ in Rechnung gestellt, berichten der Sender NDR und die „Zeit“.
Aus einem Gutachten der Prüfungsgesellschaft Mazars gehe hervor, dass Toll Collect in nur drei stichprobenhaft untersuchten Jahren 298 Millionen Euro zu viel abgerechnet habe. Die Vorwürfe sind nicht neu, schon im Februar hatte der „Spiegel“ berichtet. Das Gutachten liegt dem Ministerium seit Ende 2017 vor. In Auftrag gegeben hatte es das private Schiedsgericht, das über zehn Jahre versuchte, den Streit zwischen dem Bund sowie den Toll-Collect-Konsortialpartnern Daimler, Deutsche Telekom und Cofiroute beizulegen. Die Prüfer von Mazars sollten alle Rechnungsposten noch einmal überprüfen, über welche die Vertragspartner seit dem verzögerten Start der Maut im Jahr 2005 stritten.
Der Bund hatte rund 1,1 Milliarden Euro von den Vergütungen einbehalten, die Toll Collect verlangt hatte. Im Mai gelang auf Initiative von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die Einigung. Die Bundesregierung sowie Daimler und Telekom verständigten sich auf einen Vergleich. Danach erhält der Bund 3,2 Milliarden Euro. Beide Seiten halten offenbar damit alle umstrittenen Posten für abgegolten. Bisher ist aber ungewiss, ob auch die Strafverfolgungsbehörden die angeprangerten Vorgänge für strafrechtlich irrelevant halten.
Verkehrsministerium wehrt sich vehement gegen Vorwürfe
Im Februar hatte die Berliner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Toll Collect eingestellt. Darin ging es um die Abrechnung der 2012 auf ausgewählte Bundesstraßen ausgeweiteten Maut. Das Verfahren (nach Strafanzeige eines ehemaligen Mitarbeiters) hatte sich hingezogen, es hatte Hausdurchsuchungen gegeben, aber es kam nicht zu einer Anklage. Die neuen Vorwürfe seien vom abgeschlossenen Verfahren gesondert zu betrachten, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, der F.A.Z. am Donnerstag. Man werde prüfen, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden müsse.
Dabei geht es um den Verdacht des Betrugs und der Haushaltsuntreue wegen der zweckwidrigen Verwendung öffentlicher Mittel. NDR und „Zeit“ zitieren Dokumente, die eine Einflussnahme des damaligen Abteilungsleiters und heutigen Staatssekretärs im Ministerium, Gerhard Schulz, vermuten lassen. Er habe der Staatsanwaltschaft gesagt, das Verfahren sei „zu einem sensiblen Zeitpunkt“ anhängig. Im Falle „nachgewiesenen betrügerischen Handelns“ dürfte eine Übernahme von Toll Collect „politisch nicht mehr in Betracht zu ziehen sein“. Der Bund will den Mautbetreiber Ende dieses Monats für eine Übergangsphase übernehmen. Spätestens im März soll das Geschäft wieder an Unternehmen gehen. Den Auftrag will das Ministerium noch 2018 vergeben.
Schulz wandte sich am Donnerstag vehement gegen die Unterstellung, er habe die Ermittlungen beeinflussen wollen. Er habe „die uneingeschränkte Kooperationsbereitschaft des Ministeriums und des Bundesamts für Güterverkehr zugesichert“. Der Staatsanwaltschaft seien umfangreiche Unterlagen übermittelt worden. Zum Vorwurf, der Bund habe unberechtigte Marketingausgaben bezahlt, sagte er: „Das Prüfungssystem des Bundes hat zu 100 Prozent funktioniert. Strittige Ausgaben im Marketingbereich, die Toll Collect zur Abrechnung vorgelegt hat, wurden vom dafür zuständigen Bundesamt für Güterverkehr geprüft, abgelehnt und nicht bezahlt.“ Toll Collect verwies auf den Betreibervertrag. Aufwendungen, die nicht geregelt seien, „wurden und werden durch den Auftraggeber nicht vergütet“.