„Landgrabbing“ in Deutschland : Der Wettlauf ums Land
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300 Mutterkühe und 120 Jungrinder: Was nach viel klingt, ist ein vergleichsweise kleiner Betrieb Bild: Lüdecke, Matthias
In Ostdeutschland fürchten die Bauern um ihr Land. Die Preise steigen, vielerorts können Landwirte nicht mehr mit den Geboten von Kapitalgesellschaften mithalten. Für Kritiker ist das ein Warnsignal.
Die Kälber sind unruhig. Sobald jemand ins Dämmerlicht des Stalls tritt, laufen sie als Herde geschlossen davon. Eine wogende Masse hellbrauner Leiber. „Sie sind das erste Mal im Stall“, sagt Henrik Wendorff beinahe entschuldigend. Daher die Unruhe und die Rufe nach den Müttern. Vor einem halben Jahr wurden sie auf der Weide geboren. Charolais-Rinder, extensiv gehalten, wie es heißt, immer nur unter freiem Himmel.
Jetzt aber kommt der Tierarzt. Die Rinder, inzwischen gut 240 Kilo schwer, werden nach Bayern verkauft, wo sie bis zur Schlachtreife gemästet werden. Auf Wendorffs silbernem Pick-up prangt ein Aufkleber: „Landwirt im Einsatz“. An diesem Tag jedoch sieht er mit seinem Hemd, den Jeans und der Baseballmütze gar nicht so aus, wie sich ein Stadtkind einen Bauern vorstellt. Ohnehin treibt Wendorff derzeit ein Thema um, das genauso gut in Konzernzentralen zu Hause ist wie auf der Weide im brandenburgischen Vierlinden, wo die Rinder im Nieselregen friedlich grasen.
Eine andere Sicht auf die Dinge
Es geht um Land, Pacht- und Kaufpreise, um Spekulation, Marktmacht und Anlagestrategien. Zurück aus dem Stall, setzt sich Wendorff an seinen Computer, hinter ihm stehen Mini-Traktoren in der Schrankwand. 1991 wurde die AGW Worin gegründet, jener Betrieb, den Wendorff heute als Gesellschafter und Geschäftsführer leitet. Hervorgegangen ist er, wie so viele Agrarbetriebe in Ostdeutschland, aus einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft der DDR.
Sieben Betriebe gehörten ursprünglich dazu, sogar eine Schäferei. Nach der Wende aber wurde alles aufgelöst und 6.500 Hektar Land neu verteilt. „Eine verrückte Phase“, sagte Wendorff. Am Ende kam die heutige GmbH dabei heraus, spezialisiert auf die Charolais-Zucht, ein ökologischer Bioland-Betrieb. Fünf Gesellschafter aus dem Ort, neun Mitarbeiter aus der Umgebung, nicht ganz 1.000 Hektar Land, 300 Mutterkühe, 120 Jungrinder, 1,2 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Aus der Sicht des typischen westdeutschen Landwirts klingt das gigantisch. Agrarökonom Wendorff aber hat eine andere Sicht auf die Dinge.
Er hätte gerne mehr Land. Zwei Drittel der Flächen hat die AGW Worin bloß gepachtet; nur ein Drittel gehört ihr. Das birgt Risiken. Jedes Mal, wenn ein Pachtvertrag ausläuft, könnte ein anderer zum Zug kommen. Oder aber die Pacht wird einfach teurer. „Eigentlich bräuchten wir 70 Prozent Eigentum, um unternehmerisch stabil zu sein“, sagt Wendorff. In der Vergangenheit hatten sie jede Gelegenheit genutzt, Land zu kaufen – von der bundeseigenen Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) bis zur Treuhand. Doch im Landkreis Märkisch-Oderland ist es schwierig geworden, an Land zu kommen.
„Wir sind Unternehmer, wir müssen uns am Markt behaupten“, sagt Wendorff. Mit Marktdruck müssten sie seit zwanzig Jahren klarkommen. Dennoch findet er, dass da etwas schiefläuft. Was in Entwicklungsländern unter „Landgrabbing“ läuft, also dem aggressiven Aufkaufen von Land durch Investoren, ist unter etwas gemäßigteren Vorzeichen auch in Ostdeutschland ein Thema. „Es gibt viele Wettbewerber, auch Kapitalanleger. Der Pachtmarkt ist ebenfalls unter Druck, die Preise steigen“, sagt Wendorff.
Umweltauflagen und Biogasanlagen
Die Gründe? Zum Beispiel die strengeren Umweltauflagen und der Siegeszug der Biogasanlagen, sagt Wendorff. Wer Vieh hält, brauche immer mehr Fläche, um die Gülle unterzukriegen, und die Biogasanlagen müssten gefüttert werden – zum Beispiel mit Mais. Hinzu kämen Landwirte aus dem Ausland, etwa aus Holland, die dort nicht expandieren könnten und das dann eben in den Weiten Ostdeutschlands versuchten. Vor allem aber kaufen Investoren und Kapitalgesellschaften Land.
Landwirtschaftsferne wie die Immobilien- und Altenpflegeholding Lindhorst ebenso wie Agrarkonzerne, etwa die KTG Agrar. Letztere bewirtschaftet 40.000 Hektar in Deutschland und Litauen und betont, sich zum sozialen Flächenerwerb verpflichtet zu haben. Trotzdem sind solche Konzerne für die Wendorffs dieser Welt harte Konkurrenz. Schon wegen ihrer Größe haben sie günstigere Kostenstrukturen. Außerdem spielt ihnen die Lage am Kapitalmarkt in die Hände. Anleger suchen in den aktuellen Niedrigzinszeiten neue und zugleich sichere Investments.