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Helmut Bünder (bü.)

Kommentar : Jamaika, die Telekom und die Post

Realität oder Ferne Zukunft: Bis 2025 solle Deutschland zur „Gigabit-Gesellschaft“ werden, in der „Daten in Echtzeit überall und für alle verfügbar sind“. Bild: dpa

Damit die Digitalisierung in Deutschland vorankommt, muss viel investiert werden. Es ist höchste Zeit, ehemalige Staatskonzerne vollständig zu privatisieren.

          3 Min.

          Es steht noch nicht einmal fest, welche Frequenzen wirklich unter den Hammer kommen. Doch manche „Digitalpolitiker“ haben schon die Eurozeichen in den Augen. Zweistellige Milliardeneinnahmen erwartet Noch-Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) aus der Mobilfunkauktion im kommenden Jahr. Der erhoffte Geldsegen war im Wahlprogramm der Union auch schon fest verplant für Investitionen in den Ausbau eines modernen Glasfasernetzes. Bis 2025 solle Deutschland zur „Gigabit-Gesellschaft“ werden, in der „Daten in Echtzeit überall und für alle verfügbar sind“. Schön wäre es, vor allem wenn vorher noch ein anderes Versprechen eingelöst würde: die Grundversorgung mit halbwegs schnellem Internet.

          In großen Teilen der Republik tröpfeln die Daten so stockend aus den Leitungen, dass selbst das für 2018 angepeilte Minimalziel von 50 Megabit je Sekunde noch in weiter Ferne liegt. Beim Hochleistungsinternet ist Deutschland sogar in den Ballungsgebieten Entwicklungsland. Die Deutsche Telekom als der mit Abstand größte Investor beschränkt sich auf Zwischenlösungen, bei denen die Glasfaserleitungen an den Schaltkästen enden. Auf der letzten Meile läuft der Datenverkehr noch immer über den ursprünglich fürs Telefonieren verlegten Kupferdraht, der mit einem technischen Kunstgriff auf höhere Geschwindigkeiten aufgerüstet wird. Die „Vectoring-Technik“, von der großen Koalition generös durch wettbewerbsbeschränkende Vorzugsbedingungen für die Telekom unterstützt, mag für einige Jahre genügen. Aber der Weg in die digitale Zukunft führt über echte Glasfaseranschlüsse im Haus, auf die heute nur zwei Prozent der deutschen Internetnutzer zurückgreifen können. Im Durchschnitt der westlichen Industrieländer ist der Anteil zehnmal so hoch, in Japan gar 74 Prozent.

          Falsche Anreize

          Ohne staatliche Anschubfinanzierung, darüber sind sich die Parteien einig, wird Deutschland den Rückstand nicht aufholen. Die flächendeckende Verlegung von Glasfaser wird mehrstellige Milliardenbeträge verschlingen, aber noch fehlt es an Zahlungsbereitschaft der Kunden, weil sich viele Anwendungen erst langsam entwickeln. Trotzdem muss heute gebaut werden, was morgen für die nächste Digitalisierungsstufe benötigt wird.

          Die Union hält sich bei ihren Finanzierungsplänen bisher an ein altbewährtes Muster: den großen Telekom-Anbietern bei der Versteigerung neuer Mobilfunk-Frequenzen möglichst viel Geld abzuknöpfen, um damit den staatlichen Subventionstopf zu füllen. Ob das der richtige Weg ist? Angezapft würden ausgerechnet jene Unternehmen, die anschließend investieren sollen, um Deutschland zum digitalen Vorreiter zu machen. Es sollte intelligentere Lösungen geben als eine auf Höchsteinnahmen zielende Auktion.

          Das letzte Wort darüber ist auch in der Union noch nicht gesprochen. Spätestens in den Koalitionsverhandlungen wird eine naheliegende Alternative auf den Tisch kommen: der Verkauf von Telekom- und vielleicht auch Postanteilen, wie ihn die potentiellen Koalitionspartner FDP und Grüne anstreben. Der Wirtschaftsflügel der CDU hat wenig Berührungsängste, er kann sich zumindest den Rückzug aus der Telekom vorstellen. Mit der SPD war hier nichts zu machen, aber auch aus der Union gab und gibt es Widerstand. Die Gegner führen die Tausende Beamte aus Bundespostzeiten ins Feld, die noch bei den Nachfolgeunternehmen Telekom und Deutsche Post arbeiten. Mit Rücksicht auf die Staatsdiener könne der Bund seine Anteile und den damit verbundenen Einfluss auf die Konzerne noch nicht aus der Hand geben.

          Überzeugend ist das nicht. Das feinziselierte Beamtenrecht bietet Sicherheit genug. Und weder Telekom noch Post brauchen noch staatlichen Schutz: Sie haben sich zu erfolgreichen Weltkonzernen gemausert und sind stark genug, um im Wettbewerb zurechtzukommen. Dennoch liegen zwei Jahrzehnte nach dem ersten Börsengang immer noch knapp ein Drittel der Telekom-Aktien beim Staat und der Staatsbank KfW. Fast 24 Milliarden Euro sind die Anteile wert. Allein die direkte Bundesbeteiligung würde nach aktuellem Kursstand rund 10 Milliarden Euro einbringen. Etwa genauso viel ist die Beteiligung von knapp 21 Prozent an der Deutschen Post wert, welche zumindest die FDP ebenfalls zum Verkauf stellen möchte. An der Börse zeigt man sich von diesen Rückzugs-Planspielen einer möglichen Jamaika-Koalition völlig unbeeindruckt. Der Kurs der Telekom bewegt sich seit der Wahl seitwärts, während die Papiere der Deutschen Post auf neue Rekordstände geklettert sind.

          Diese schlummernden Schätze für den Bundeshaushalt zu heben ist schon wettbewerbspolitisch überfällig, seit langem wirbt die Monopolkommission dafür. Um Interessenkonflikte zu beseitigen, muss der Bund raus aus seiner leidigen Doppelrolle als Anteilseigner und Schiedsrichter, der die Rahmenbedingungen für Post- und Telekommarkt setzt. Es ist ein Interessenkonflikt, den nicht nur die Telekom ausnutzt, um ihre Pfründe zu verteidigen. So liegt es auch an Privilegien wie ihrer exklusiven Umsatzsteuerbefreiung, dass die Post auf dem Briefmarkt noch immer ein Quasi-Monopol genießt. Vielleicht schafft es eine Jamaika-Koalition, mit diesen Relikten aus längst vergangenen Bundespost-Zeiten endlich aufzuräumen.

          Helmut Bünder
          Wirtschaftskorrespondent in Düsseldorf.

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