Klärung nötig : Was hat es nun mit dem Thermofenster auf sich?
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Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Bild: dpa
Trotz Tausenden von Klagen gegen VW und Daimler ist ein klärendes Urteil des BGH noch nicht zustande gekommen. Daran scheinen die Kläger diesmal aber auch nicht interessiert.
Bislang war der Blick der Öffentlichkeit auf die Diesel-Klagen recht eindeutig. Die Bösen sitzen in den Autokonzernen. Nachdem die rechtlichen Fragen zum Skandal um die manipulierte Software bei Volkswagen-Dieselmotoren durch den Bundesgerichtshof (BGH) zugunsten der Kläger geklärt sind, liegen jetzt Tausende Fälle vor deutschen Gerichten, in denen es um die sogenannten Thermofenster geht. Damit wird das Abgasverhalten von Fahrzeugen im Betrieb in Abhängigkeit von der Außentemperatur beschrieben. Allein bei VW geht es nach Angaben eines Sprechers um mehr als 10 000 Fälle. Bei Daimler ist von einer niedrigen fünfstelligen Zahl an Klagen die Rede.
Dieses Mal aber geraten die Klägerkanzleien ins Zwielicht. Hiltrud Werner, im Konzernvorstand von VW zuständig für Recht und Integrität, sprach sogar davon, „dass sich in Deutschland eine Klageindustrie entwickelt hat, der es nicht mehr um die rechtliche Klärung für ihre Mandanten geht, sondern um die eigenen Gebühren“. Vor wenigen Tagen hatten die Klägeranwälte überraschend zwei Revisionen zurückgenommen. Daimler machte dieselben Erfahrungen. Auch hier zogen die Kläger am vergangenen Donnerstag abermals eine Revision zurück. Diese war für den 9. März angesetzt – nach Oktober und Dezember 2020 ist es schon die dritte Verhandlung, die nicht zustande kommt.
Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) kurz vor Weihnachten 2020 entschieden hatte, dass Abschalteinrichtungen in älteren Dieselmodellen grundsätzlich nicht zulässig seien, hatten sich viele Verbraucheranwälte gute Erfolgschancen ausgerechnet. Für Ausnahmen, etwa zum Schutz der Motoren, hatten die Luxemburger Richter hohe Hürden aufgestellt. Die Klägeranwälte jubelten: Der Diesel-Skandal gehe jetzt erst richtig los, lautete das Credo.
VW argumentiert hingegen, die eingesetzten Thermofenster seien als industrieweiter Standard in Dieselfahrzeugen den Behörden und dem Gesetzgeber bekannt. Selbst wenn sie im Nachhinein im Einzelfall als unzulässig gewertet würden, begründe das keine Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Fast alle mit dem Thema befassten Oberlandesgerichte (OLG) sprechen das Thermofenster an – wie exemplarisch das OLG Koblenz im Januar 2021 –, erkennen aber keine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung an. Damit ist den Schadenersatzklagen die Grundlage entzogen. Verbraucheranwalt Johannes von Rüden, dessen Kanzlei nach eigenen Angaben mehr als 12 000 Dieselfahrer gegen Automobilhersteller vertritt, betreute die Revision gegen Daimler, die Mitte Dezember kurzfristig zurückgenommen wurde. Über die Hintergründe will er nicht sprechen und verweist auf die Vertraulichkeit. Das Thermofenster sei ein von der Automobilindustrie gewählter Begriff, sagte er der F.A.Z. Die Verbraucheranwälte sprechen untereinander und in ihren Schriftsätzen nur noch von einer temperaturgesteuerten Abschalteinrichtung. „Der Begriff Thermofenster verweichlicht den Vorgang und rückt ihn in ein vermeintlich rechtes Licht.“
Die Kläger, so scheint es, verlieren das Interesse an einer Klärung durch den BGH. Dieses Mal drängt die Automobilindustrie auf eine höchstrichterliche Entscheidung. „Eine rechtliche Klärung der Fragen zum Thermofenster durch den BGH scheint dringend nötig“, sagte VW-Rechtsvorständin Werner der F.A.Z. Für das Unternehmen sei es ein enormer Aufwand, Tausende von Verfahren zu bearbeiten. Sie sehe auch, dass es für die Kläger schwer absehbar sei, „ob sie ein solches Verfahren führen wollen, solange keine finale rechtliche Bewertung vorliegt und ihnen durch Klägeranwälte Hoffnungen gemacht werden, die nach unserer Überzeugung unbegründet sind“.