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Kinderbetreuung : Unternehmen buhlen um die Gunst von Familien

Die Regierung stellt am Donnerstag ihre Bilanz der familienpolitischen Staatshilfen vor Bild: dpa

Die Wirtschaft kann nicht auf die Arbeitskraft von Müttern und Väter verzichten. 600 Betriebskindergärten gibt es bislang. Aber das reicht noch lange nicht. Heute will die Regierung ihren Bericht zur Wirksamkeit der Familienpolitik vorstellen.

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          Viele deutsche Unternehmen sind in den vergangenen Jahren kreativ geworden, wenn es um Unterstützung von Beschäftigten mit Kleinkindern oder pflegebedürftigen Familienmitgliedern geht. Neben neuen Modellen für individuell zugeschnittene Arbeitszeiten etablieren sich Eltern-Kind-Büros, Betriebskindergärten und Beratungsangebote. Dieses Bild zeichnet eine breite Sammlung von Praxisbeispielen, die die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) zusammengestellt hat und in Kürze veröffentlichen wird. Sie will damit den fachlichen Austausch von betrieblichen Praktikern und auch Familienpolitikern anregen.

          Dietrich Creutzburg
          Wirtschaftskorrespondent in Berlin.

          Deutschland könne es sich „nicht leisten, auf die Arbeitskraft gut ausgebildeter Frauen zu verzichten“, begründete Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt das Projekt auf Anfrage. Tatsächlich gebe es bereits Fortschritte. „Jedes dritte Unternehmen unterstützt seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Kinderbetreuung“, berichtete er. Insgesamt gibt es hierzulande laut BDA heute 584 Betriebskindergärten. Zugleich sei aber noch immer fast die Hälfte der erwerbstätigen Frauen nur teilzeitbeschäftigt - und dies überwiegend mit einer im europäischen Vergleich sehr geringen Stundenzahl.

          Teilzeitbeschäftigte wollen mehr arbeiten

          Auch Gewerkschaften weisen regelmäßig darauf hin, dass viele Teilzeitbeschäftigte gerne mehr arbeiten würden. Laut Statistischem Bundesamts wünschte sich 2011 von den 7,7 Millionen teilzeitbeschäftigten Frauen fast jede Fünfte eine Ausdehnung ihrer Wochenarbeitszeit, im Durchschnitt um 15 Stunden.

          Bestehende Hindernisse für eine stärkere Berufstätigkeit beseitigen, sei in jedem Fall ein wichtiges Ziel, betonte Hundt. Das gelte nicht nur im Hinblick auf knapper werdende Fachkräfte, sondern auch im Hinblick auf Karrieremöglichkeiten für Frauen: „Wer weniger arbeitet, hat weniger berufliche Erfahrung, weniger Fachkenntnisse und damit schlechtere Verdienst- und Aufstiegschancen.“

          Die in einer 70 Seiten starken Broschüre dargestellten Beispiele zeigen die Praxis in mehr als 40 Unternehmen auf, darunter Dax-Konzerne, Mittelständler und Handwerksfirmen. So beschreibt die Versandhandelsgruppe Otto, wie sie Beschäftigten durch Kooperation mit nahen Kindertagesstätten auch tage- oder stundenweise Ad-hoc-Betreuung bieten kann. Daneben bietet Otto, aber auch die Paul Hartmann AG, ein Medizinprodukte-Hersteller, zum Arbeiten sogenannte Eltern-Kind-Zimmer an - für den Fall, dass die Kinderbetreuung unerwartet ausfällt.

          Wiedereinsteig soll einfacher werden

          Die Deutsche Telekom stellt ein „Netzwerkprogramm“ vor, welches Väter und Mütter während der Elternzeit in Kontakt mit der Arbeit ihrer Abteilung halten und den späteren Wiedereinstieg erleichtern soll. Dazu gehörten regelmäßige Telefonrunden, in denen Mütter und Väter über ihre Erfahrungen während der Elternzeit diskutieren, aber auch über aktuelle Themen ihres Aufgabenbereichs sprechen.

          Solche Programme lassen sich eher in großen Unternehmen umsetzen als im Handwerk. Doch hat sich etwa das Hamburger Goldschmiedeatelier Thomas Becker so stark auf die Belange von Beschäftigten mit Kindern eingestellt, dass es im April einen Preis für „Corporate Social Responsibility“ der Bundesregierung bekam. Es bietet Mitarbeiterinnen an, für den Wiedereinstieg nach der Elternzeit die Wochenarbeitszeit schrittweise über Stufen von 15 bis 25 Stunden zu steigern.

          Die Deutsche Bahn, die sich als einer der zehn „besten Arbeitgeber“ profilieren will, stellt Angebote für Mitarbeiter mit pflegebedürftigen Angehörigen heraus: Sie helfe bei der Vermittlung von Pflegeleistungen und ermögliche es im Rahmen einer Familienpflegezeit, im Bedarfsfall die Arbeitszeit für bis zu zwei Jahre zu reduzieren. Siemens bemüht sich indes, Mitarbeiter mit praktischer Hilfe und mit finanziellen Anreizen nach der Elternzeit rasch wieder in den Beruf zu lotsen. Wer innerhalb von 14 Monaten nach der Geburt des Kindes in Teilzeit zurückkehrt, erhält eine Prämie von bis zu 500 Euro.

          Die Verbände haben allerdings die Sorge, dass die Politik das Bemühen der Wirtschaft zu selbstverständlich nimmt. Es sei „nicht nur Aufgabe der Unternehmen, sondern eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft“, die Bedingungen so zu setzen, dass Menschen Familie und Berufstätigkeit „besser unter einen Hut bekommen“.

          Die Bundesregierung will an diesem Donnerstag ihre Bilanz eines anderen familienpolitischen Projekts vorstellen: Sie hatte seit 2009 die insgesamt 156 ehe- und familienbezogenen Maßnahmen des Staates untersuchen lassen, um herauszufinden, wie diese wirken. Viele Einzelergebnisse waren in den vergangenen Monaten bereits von den Forschungsinstituten vorgelegt worden. Nun wollen Finanzminister Wolfgang Schäuble und Familienministerin Kristina Schröder (beide CDU) erklären, welche Lehren sie daraus ziehen.

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