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Jacob Wallenberg im Interview : „Warum sollten wir in Kalifornien einen Haufen Geld vergraben?“

Jacob Wallenberg, das aktuelle Oberhaupt der reichsten Familie Skandinaviens. Bild: TT NYHETSBYRÅN

Der Kopf der reichsten Familie Skandinaviens gewährt Einblick in die Geheimnisse des Clans. Er spricht über seine Philosophie als Unternehmer, attackiert Populisten-Versteher und mahnt die Deutschen.

          13 Min.

          Deutschland hat die Oetkers, die Quandts, die Krupps. Schweden hat die Wallenbergs. Die altehrwürdige Familie dominiert die Industrie in Skandinavien. Ihr aktuelles Oberhaupt ist Jacob Wallenberg, ein 61 Jahre alter Mann mit jungenhaftem Charme und gewelltem Haar. Leichtfüßig kommt der gelernte Banker daher, ohne großen Stab, dafür angriffslustig, selbstironisch und skandinavisch uneitel: „Hi, ich bin Jacob.“ Dann kann es losgehen.

          Bettina Weiguny
          Freie Autorin in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Herr Wallenberg, wer hat mehr Macht in Schweden – der König oder Ihre Familie?

          Nie würde ich mir anmaßen, uns mit dem Königshaus zu vergleichen. Das verbietet sich.

          Die Wallenbergs sind jedenfalls die reichste Familie Schwedens: Die stolzesten Konzerne gehören Ihnen. Aus ökonomischer Macht folgt politischer Einfluss.

          Moment. Es ist ja nicht so, dass uns das alles gehören würde, dass wir über das Vermögen frei verfügen könnten. Das hat einer unserer Vorfahren – mein Ururgroßonkel, einer der Söhne des Gründers – sehr schlau verhindert. Er und seine Frau waren ungeheuer reich, hatten aber keine Kinder. So haben sie im Jahr 1917 beschlossen, das ganze Vermögen in eine wohltätige Stiftung zu stecken. Jedenfalls gehören die Unternehmen heute dieser Stiftung, nicht uns als einzelnen Personen.

          Ein ähnliches Modell wie etwa bei Bosch in Deutschland?

          Genau. Aber darf ich zum Verständnis geschichtlich etwas ausholen?

          Nur zu.

          Wir sind schwedische Bauern. Ursprünglich hießen wir Anderson, bis jemand den Namen zu Wall änderte, und später ein -berg hinzugefügt wurde. Das war im 17. Jahrhundert. Später waren unsere Vorfahren lutherische Geistliche, schließlich wurde einer sogar Bischof. Dessen Sohn war ein Schiffskapitän. Mitte des 18. Jahrhunderts fuhr der nach Boston und kaufte dort ein Buch mit dem Titel „How to start a bank“.

          Und das setzte er in die Wirklichkeit um?

          Ja. Genau genommen gründete er sogar zwei Banken.

          So einfach ist das also. Existiert dieses lehrreiche Buch noch?

          Ich glaube nicht, ich habe es jedenfalls nie zu Gesicht bekommen.

          Herr Wallenberg, wie wurden Sie nach und nach Miteigentümer an allen wichtigen Konzernen?

          Dazu kam es im späten 19. Jahrhundert während einer großen Finanzkrise in Schweden. Viele kleine Firmen gingen pleite oder gerieten in Schieflage, die Bank sprang ein, wurde in dem Zuge Teilhaber durch eine Konversion der Kredite in Kapital. Dadurch konnten etliche der Unternehmen überleben. Von da an waren meine Vorfahren nicht nur Bankiers, sondern auch Industrielle.

          Heute sind die Bank und Ihre Industriebeteiligungen getrennt. Warum?

          1916, vor 101 Jahren, erließ die schwedische Regierung ein neues Gesetz, das Banken verbat, Aktien an Industrieunternehmen zu besitzen. Deshalb haben wir die Anteile in einer Tochtergesellschaft gebündelt. Damit waren wir plötzlich Investoren.

          Wie schwer ist es, den Überblick über diesen Besitz zu behalten?

          Ich kann das gerne mal aufmalen.

          Jacob Wallenberg bittet um Stift und Papier, zieht Kreise und von da aus Linien zu seinen Unternehmen: ABB, Ericsson, Electrolux, Astra Zeneca, Altas Copco. Oben steht die Stiftung des Clans. Genau genommen wären es 15 Stiftungen, aber die größte ist die Knut and Alice Wallenberg-Stiftung. Diese hält 50,1 Prozent der Stimmrechte vom Investor, der Wallenberg-Holding, und 25 Prozent der Anteile an den skizzierten Unternehmen. Daneben stellt die Familie ihre Private-Equity-Gesellschaft EQT sowie Patricia, eine Tochterfirma, in der sie die Unternehmen bündeln, die dem Clan zu 100 Prozent gehören. Dazu kommt noch die Investment-Firma FAM, auch zu 100 Prozent im Besitz der Stiftungen, als größter Aktionär von SKF, Svenska Kugellagerfabriken. Das Blatt ist voll, Jacob Wallenberg zufrieden: Das Kunstwerk mit seiner Firmenstruktur ist vollendet.

          Herr Wallenberg, wo ist denn die Bank in der Zeichnung?

          Oh, die habe ich vergessen. Ich vergesse immer etwas, wenn ich es aufmale. Dabei war ich mal CEO, Vorstandsvorsitzender, der SEB. Wenn ich morgens aufwache, ist mein erster Gedanke immer: Je besser es diesen vielen Unternehmen hier geht, desto besser geht es der Stiftung, desto mehr Geld fließt in die Forschung. Der gleiche Gedanke treibt meinen Bruder und meinen Cousin an. Wir leiten das Unternehmen ja zu dritt. 250 Millionen Dollar im Jahr gehen in Schwedens Bildungssystem und an schwedische Universitäten für Grundlagenforschung. Und ich meine Grundlagenforschung im wörtlichen Sinne, also nichts, was Sie monetarisieren könnten. Mit ein bisschen Glück bekommen sie vielleicht mal einen Nobelpreis dafür, in 50 Jahren oder so.

          Jacob Wallenberg (links) skizziert während des Interviews mit den Autoren Bettina Weiguny und Georg Meck in Davos die Beteiligungen der Familie.
          Jacob Wallenberg (links) skizziert während des Interviews mit den Autoren Bettina Weiguny und Georg Meck in Davos die Beteiligungen der Familie. : Bild: Privat

          Was würde in Schweden passieren, wenn Sie das Geld aus der Stiftung einbehielten?

          Das hätte beachtliche Folgen für die Forschung hierzulande, wir sind ein wichtiger Spieler in dem Bereich. Wir sind die zweitgrößten privaten Finanziers in Europa, die zweitgrößte Stiftung nach dem Wellcome Trust in Großbritannien. Aber ich kann Sie beruhigen, die Stiftung wird weiter Geld für die Wissenschaft ausschütten, geht gar nicht anders.

          Weil die Satzung das so festlegt?

          Genau, wir sind da nicht frei in unserem Willen.

          Sie sitzen doch im Board der Stiftung und können die Regeln ändern.

          Richtig. Von den acht Board-Mitgliedern sind sogar vier Wallenbergs. Wenn wir alle einer Meinung wären, die ganze Familie, könnten wir einiges ändern – nur nicht den Stiftungszweck, der besagt: Die Überschüsse müssen in die schwedische Forschung und Bildung fließen. Das könnte nur die Regierung ändern, wenn wir es vorschlügen, aber die würde das nie im Leben tun. Deshalb bleibt es für immer dabei: Die Stiftung ist gemeinnützig und das schwedische Gesetz sehr streng. Die Familie kann sich kein Geld aus der Schatulle nehmen. Ich will mich auch nicht einfach zurücklehnen und nichts tun.

          Die Wallenbergs müssen allesamt arbeiten?

          Ja. Als Kind habe ich meinen Vater nur selten gesehen, weil er im Ausland gearbeitet hat. Da habe ich ihn mal gefragt: Papa, wieso wohnst du so weit weg? Er hat geantwortet: Ich muss das Geld für dein Frühstück verdienen.

          Das haben Sie ihm geglaubt?

          Ich war klein, es hat mir als Antwort gereicht, sogar eingeleuchtet.

          Was ist Ihre Philosophie als Investor? Die Wallenbergs gelten als sehr aktiv, wenn nicht aggressiv.

          Ich weiß, dass uns oft vorgeworfen wird, wir würden nur Monopoly spielen, nach dem Motto: Je mehr Hotels Du am Ende besitzt, desto besser! Das stimmt nicht. Solche Gedanken können wir uns gar nicht leisten. Uns geht es immer darum, Unternehmenswerte zu schaffen zum Wohle der Aktionäre. Dabei denken wir ganz anders als Private-Equity-Gesellschaften. Allenfalls Warren Buffett verfolgt mit seiner Holding Berkshire Hathaway einen ähnlichen langfristigen Ansatz. Wer behauptet, fünf Jahre sind eine lange Zeit für Investoren, dem erwidere ich: Falsch, 50 Jahre oder 100 sind lang, fünf Jahre sind nichts. Wir kaufen nicht, um wieder zu verkaufen und mit dem Geld etwas Neues zu suchen, was wir dann kaufen. Lieber behalten wir unsere Investments für Jahrzehnte oder auch für Jahrhunderte.

          Das heißt aber nicht, dass Sie die ganze Zeit stillhalten, im Gegenteil: Sie mischen sich sehr ein als Aktionär.

          Natürlich sind wir sehr aktive Investoren, greifen ein, wenn wir das Gefühl haben, da läuft etwas schief.

          Und Sie zementieren Ihre Macht gegenüber anderen Aktionären.

          Auch die Kritik höre ich oft, das stimmt aber nicht. Wenn es im Interesse des Unternehmens ist, geben wir Macht ab – wie die Entstehung von ABB beweist: An dem Vorläuferkonzern ASEA hielten wir einst 40 Prozent und haben 1988 einem Zusammenschluss mit der Schweizer Brown Boveri (BBC) zugestimmt, obwohl unser Anteil dadurch auf fünf Prozent zusammenschmolz. Das war ein großer Machtverlust für uns. War das im Interesse der Familie? Nein, aber wir hielten es für richtig und wichtig für das Unternehmen. Das Gleiche haben wir bei Astra Zeneca gemacht und bei den Banken 1972. Jedes Mal haben wir Einfluss verloren, aber einen stärkeren Wettbewerber geschaffen.

          Die Skizze aus dem Interview mit Jacob Wallenberg, die die Beteiligungen seiner Familie verbildlichen soll.
          Die Skizze aus dem Interview mit Jacob Wallenberg, die die Beteiligungen seiner Familie verbildlichen soll. : Bild: Privat

          Ihre Firmen zählen zur klassischen Industrie, „old economy“. Warum investieren Sie nicht in die jungen Stars im Silicon Valley?

          Aus dem gleichen Grund, warum wir auch keine deutschen oder russischen Firmen kaufen. Als Schweden investieren wir vor allem im Norden von Europa. Und achten sehr darauf, dass unsere schwedischen Unternehmen global erfolgreiche Spieler sind und am Fortschritt teilhaben. Warum sollten wir in Kalifornien einen Haufen Geld vergraben? Was weiß ich schon über das Silicon Valley und darüber, was irgendwelche junge Genies gerade aushecken? Sehr wenig, im Detail habe ich davon keine Ahnung. Aber Sony Ericsson, eine unserer Firmen, hat einen sehr wichtigen Teil des Geschäfts in San José, diese Experten sehen die wichtigen Trends, kennen die richtigen Leute. Über sie sind wir längst Teil des Valleys.

          Wäre es trotzdem nicht klüger, allmählich in Google oder Facebook zu investieren statt in die Tradition von ABB und Ericsson?

          Nein, gar nicht. Der Schlüssel zur sogenannten vierten industriellen Revolution – zur Digitalisierung, zur künstlichen Intelligenz, zu Big Data und wie immer Sie es nennen – liegt darin, dass sich jedes einzelne unserer Unternehmen auf alles konzentriert, was in diesem Wandel relevant ist. Wenn ABB zum Beispiel nicht die richtigen Themen auf dem Schirm hat, läuft das Unternehmen ganz schnell Gefahr, „disrupted“ zu werden. Dann sind Sie raus, weg, pleite. Das Geschäft besetzen plötzlich andere. ABB ist aber gerade ein wunderbares Beispiel dafür, wie ein traditioneller Konzern ganz vorne mitspielt bei der Digitalisierung. Unser Ideal ist ein sich permanent wandelnder Konzern, der immer vorneweg ist bei der Entwicklung. Und das mit sehr langem Atem, den wir als Familie haben.

          Wie groß ist heute Ihre Familie?

          Sehr groß, wir sind ziemlich viele. Schon in der zweiten Generation wurde es unübersichtlich.

          Dem Gründer werden 21 Kinder nachgesagt.

          Na ja, André Oscar Wallenberg, der Seefahrer, hatte zwei Ehefrauen und lebte mit einer dritten Frau zusammen. Das ergab drei Kinder plus drei plus 14 und dann wohl noch eins oder zwei. Aber von den 21 oder 22 sind nur zwei in das Unternehmen eingetreten, Knut und Marcus. Knut hatte keine Kinder, Marcus dagegen zwölf, von denen aber sind nur zwei in das Familienunternehmen eingestiegen: mein Großvater und sein älterer Bruder. Auf unserer Seite gab es meinen Vater, meinen Onkel Marc und meine Tante.

          Ihr Vater übernahm die Leitung des Familienkonzerns.

          Er musste, es blieb ihm nichts anderes übrig. Mein Onkel Marc hat sich 1971 umgebracht, er war damals CEO, als wir unsere Banken neu formiert haben. Das war eine harte Zeit. Mein Vater, damals noch ein sehr junger Mann, blieb als Einziger im Unternehmen. Er hat die Geschäfte geleitet, bis er vor zwei Jahren gestorben ist.

          Und Ihre Tante? Durfte die nicht in der Firma tätig werden? Sind Frauen bei den Wallenbergs nicht zugelassen?

          Heute natürlich schon, aber zu der Zeit leider noch nicht. Bisher hat Gott, aus welchen Gründen auch immer, dafür gesorgt, dass trotz der vielen Nachkommen immer nur sehr wenige ins Geschäft wollten. Bei uns, in der fünften Generation, sind wir zu dritt im Unternehmen. In der sechsten Generation gibt es 13 Kinder im Alter von zehn bis 30. Es wird sich noch zeigen, wer sich für das Management eignet.

          Der schwedische Unternehmer André Oscar Wallenberg gründete 1856 die Stockholmer Enskilda Bank (SEB Bank).
          Der schwedische Unternehmer André Oscar Wallenberg gründete 1856 die Stockholmer Enskilda Bank (SEB Bank). : Bild: Picture-Alliance

          ... und wer sich durchsetzt gegen die anderen.

          Ach wissen Sie, das dünnt von allein aus. Sie brauchen die richtige Ausbildung, die nötige Berufserfahrung, das Wissen, die Fähigkeiten, und Sie brauchen ein Herz für die Firma, ein Gefühl dafür, dass das hier etwas ganz Phantastisches ist. Nur dann hast du vielleicht eine Chance, ein Teil davon zu werden. Das ist ein ganz schöner Druck, harte Arbeit, viel Arbeit, die einem nicht immer gedankt wird. Wie viele junge Menschen kennen Sie heute, die sich solche Strapazen antun? Viele suchen sich einen leichteren Weg, was ja auch in Ordnung ist.

          Die Millennials machen auch den Wallenbergs zu schaffen?

          Auf jeden Fall, wir merken sehr wohl, dass da eine andere Generation heranwächst, junge Leute, die nicht allein für den Beruf leben, die mehr Freiheiten fordern. Wir haben Programme für sie eingerichtet, machen Mentoring mit ihnen, coachen sie, geben ihnen Einsatzmöglichkeiten überall auf der Welt. Jetzt warten wir mal ab.

          Bisher zeichnet sich kein Favorit für die Nachfolge ab?

          Nein, bislang ist noch keiner in einer Position, dass man das beurteilen könnte.

          Wann haben Sie für sich entschieden: Ich will es machen, ich will Verantwortung für den Clan übernehmen?

          Spät. Ich bin erst mal zur Marine gegangen. Ich hatte ganz andere Pläne, wollte danach Arzt werden...

          ... aber?

          Meine Noten waren zu schlecht.

          Der Name Wallenberg hat Ihnen keine Türen geöffnet?

          Nein, nein, nicht einmal in diesen Zeiten damals ging das.

          Dann sind Sie in die Wirtschaft gewechselt?

          Ich bin nach Amerika auf eine Business School, habe meinen MBA dort gemacht – habe aber immer noch nicht gedacht, dass ich mal das Familienunternehmen leiten würde.

          Warum? Die Idee war doch naheliegend.

          Nein, gar nicht, was vielleicht daran lag, dass mein Vater nicht zu Hause war. Meine Eltern haben sich getrennt, als ich vier war. Wir lebten damals in Afrika. Meine Mutter ging mit uns zurück nach Schweden, mein Vater blieb dort. Wir hatten ein gutes Verhältnis, haben uns aber nur selten gesehen. Deshalb hatten wir nicht diese Tischgespräche, wie sie in Unternehmerfamilien sonst üblich sind, wo sich alles ums Geschäft dreht. Das Wallenberg-Unternehmen war für mich immer weit weg.

          Dann haben Sie sich doch in das Nachfolgerennen gegen Ihren Cousin gestürzt.

          Ach was, wir waren keine Rivalen. Wir sind fast gleich alt, haben zur gleichen Zeit im Unternehmen angefangen, waren sogar zur gleichen Zeit in Amerika im Bankwesen; er an der Westküste, ich an der Ostküste. Wir genossen beide eine tolle Ausbildung damals, da Amerika den Europäern im Bankenbereich weit voraus war. Wir haben wahnsinnig viel telefoniert damals in Amerika, weil wir beide einsam waren, ohne viele Freunde. Das schweißt zusammen. Heute teilen mein Cousin Marcus, mein Bruder Peter und ich uns in Stockholm ein Büro. Jeden Montagvormittag setzen wir uns zusammen, halten uns gegenseitig auf dem laufenden und diskutieren, wie es weitergeht.

          Wie gut, dass das Reich groß genug ist, um es generös zu teilen!

          Ganz richtig. Aber wir sind abhängig von den Managern. Jedes Geschäft hängt an den Köpfen. Die anspruchsvollste Aufgabe ist es, die besten Leute für den Konzern zu finden und sie ans Unternehmen zu binden, auch als Aufsichtsräte später.

          Haben die Mädchen aus der Familie heute die gleiche Chance?

          Selbstverständlich. Wir sind sehr liberal, immer schon gewesen. Der älteste Sohn des Seefahrers war nicht nur ein erfolgreicher Entrepreneur, der eine Bank geleitet und Unmengen Geld gemacht hat. Nein, er war daneben während des Ersten Weltkriegs auch noch Außenminister und hat für eine liberale Tageszeitung leidenschaftliche Leitartikel geschrieben.

          Hat er als Unternehmer auch so fortschrittlich gehandelt?

          Wir sind es gewohnt, nicht nur zu reden, sondern zu handeln. Die Wallenbergs waren die Ersten, die Frauen in einer Bank beschäftigten, und haben als erste eine Altersversorgung für die Beschäftigten eingeführt. Es mag sein, dass wir sehr konservativ aussehen, wir sind es aber nicht. Wer leitete bis vor kurzem für viele Jahre die SEB?

          Eine Frau, Annika Falkengren.

          Genau. Ich selbst habe sie eingestellt. Mein Cousin und ich sind in Schweden dafür bekannt, dass wir für mehr Frauen in verantwortlichen Positionen kämpfen. Bisher geht es in der Diskussion nur leider zu oft um Aufsichtsratsposten.

          Die Villa Tacka Udden wurde im 19. Jahrhundert gebaut. Bis heute treffen sich die Wallenbergs auf dem Familienanwesen in Stockholm.
          Die Villa Tacka Udden wurde im 19. Jahrhundert gebaut. Bis heute treffen sich die Wallenbergs auf dem Familienanwesen in Stockholm. : Bild: Reuters

          Sie fordern eine Quote für Frauen im Top-Management?

          Nein, ich bin für den freiwilligen Weg. Und in jedem Fall sind Quoten für den Aufsichtsrat der falsche Ansatz. Wir brauchen mehr Frauen im aktiven Management, ohne gesetzliche Vorschriften. Sie müssen zuerst die Realität im Unternehmen kennenlernen, das sind wertvolle, unverzichtbare Erfahrungen für einen Posten im Aufsichtsrat. Wir haben heute 40 Prozent Frauen im Aufsichtsrat, damit können wir gut leben, im Management stehen wir schlechter da. Deswegen halten wir die Vorstandschefs in unseren Unternehmen an, dass für jeden Posten als Führungskraft mindestens eine Frau unter den Kandidaten sein muss.

          Wird das Wallenberg-Imperium auch in 100 Jahren noch existieren?

          Selbstverständlich, aber es wird ein anderes sein.

          Wie wird es aussehen?

          Das kann ich Ihnen nicht sagen, keine Ahnung. Anders, das ist sicher. Wir sitzen nicht hier und versuchen, Vergangenes zu bewahren, unser Vermächtnis ist ein anderes. Es gilt der Spruch meines Großvaters aus einem Brief vom Jahr 1946, der unser Philosophie zusammenfasst: „To move from the old to what is about to come is the only tradition worth keeping.“ Die einzige Tradition, die es wert ist zu bewahren, ist der Wandel. In dem Brief versuchte mein Großvater, seinen älteren Bruder davon zu überzeugen, dass es richtig und notwendig wäre, die schwedische Eisenbahn zu verkaufen, um das Geld in eine neue Firma zu stecken namens SAS, eine Fluggesellschaft.

          Familien nehmen für sich gerne in Anspruch, die besseren Unternehmer zu sein, stimmen Sie dem zu?

          Stolz darf in Familienunternehmen mitschwingen, man sollte es damit nur nicht übertreiben. Wahr ist, dass wir es uns leisten können, in langen Zeiträumen zu denken und zu planen.

          Ewig währen auch Familienkonzerne nicht, es gilt die Buddenbrooks-Regel: Die erste Generation baut auf, die dritte zerstört.

          Dieses Phänomen beobachten wir häufig. Die erste Generation sind Gründer, Entrepreneure, die zweite verwaltet das Erbe, die dritte verkauft, weil es Streit ums Geld gibt. Nur 10 bis 20 Prozent der Familienunternehmen überleben. Wir gehören dazu. Ich bin froh, dass wir uns um Geschäftsfragen kümmern können und nicht über Erbschaftsdinge diskutieren müssen. Das hat uns die Stiftungslösung zum Glück erspart.

          Niemand muckt auf, weil er mehr vorm Erbe abhaben möchte?

          Nein, wie gesagt: Wir Wallenbergs müssen unser Geld selbst verdienen.

          Und wie in Schweden üblich, kann jeder sehen, wie viel das ist?

          Stimmt, da ist nichts geheim. Ich verdiene etwa 2,2 Millionen Euro im Jahr, inklusive aller Vergütungen in Aufsichtsräten.

          Damit liegen Sie weit unter den Chefs von deutschen Dax-Konzernen.

          Die Managergehälter sind in Schweden allgemein um einiges niedriger. Selbst diese Vergütung aber genügt, um bisweilen als gieriger Kapitalist angegriffen zu werden.

          Dann lassen Sie uns über Ungleichheit und Gerechtigkeit reden: Das eine Prozent der Superreichen auf der Welt besitzt mehr als die restlichen 99 Prozent, wird häufig gesagt. Das wird als Grund für den Aufstieg der Populisten genannt.

          Das ist zu simpel gedacht. Es ist viel, viel komplizierter.

          Auch IWF-Direktorin Christine Lagarde kritisiert, dass die Ungleichheit überall auf der Welt zunimmt.

          Wenn Frau Lagarde das behauptet, ist das sachlich falsch und politischer Populismus. Ungleichheit ist kein Problem auf der ganzen Welt, das man mit mehr Umverteilung bekämpfen muss. Die Ungleichheit hat bei weitem nicht überall zugenommen, schauen Sie doch mein Heimatland an: Schweden ist eins der egalitärsten Länder der Welt. Wir haben die zweitniedrigste Manager-Vergütung in der Welt, nach Norwegen. In Schweden verdienen gerade mal zwanzig Manager so viel wie ich. Das ist nichts im Vergleich zu deutschen Managergehältern. Trotzdem haben wir die gleiche Diskussion wie ihr: Kommt, das muss gerechter, gleicher werden! Also wirklich, macht mal halblang, das ist ein Witz. Der Aufstieg der Populisten hat andere Gründe.

          Welche?

          Nehmen Sie Schweden, auch wir haben Probleme: die Arbeitslosigkeit zum Beispiel. Wie bekommen wir alle wieder in Brot und Arbeit? Wie kümmern wir uns sinnvoll um die Flüchtlinge? Wie Sie wissen, nimmt Schweden im Verhältnis zur Bevölkerung mehr Flüchtlinge auf als jedes andere Land in Europa. Ich unterstütze das sehr, solange es vernünftige Pläne für deren Zukunft gibt und wir sie in den Arbeitsmarkt integrieren können. Solche Fragen bestimmen das gesellschaftliche Klima.

          Donald Trump hat die Wahl gewonnen, weil er Amerika über alles stellt und sich dabei auf den vergessenen amerikanischen Arbeiter beruft. Werden Rechtspopulisten auch in Europa die Sieger des Jahres?

          Die Lage in Amerika ist mit Europa nicht vergleichbar. Dort verstehe ich den Unmut des Arbeiters, der über die vergangenen zehn Jahre einen Zuwachs von nur 0,4 Prozent seines verfügbaren Einkommens hatte. Da wäre ich auch entsetzt. In Schweden ist das Einkommen im gleichen Zeitraum um 60 Prozent gestiegen.

          An Schweden können wir mal wieder sehen, wie es richtig gemacht wird.

          Das habe ich nicht gesagt. Wir Schweden sind ja dafür berüchtigt, überall auf der Welt herumzulaufen und zu sagen: „Schaut uns an! Wir machen es richtig.“ Mit dieser Haltung habe ich häufig genug zu kämpfen. Wir haben unser Modell in Schweden, es hat seine Vor- und Nachteile. Punkt.

          Sehen Sie in Trump eine Gefahr für die westliche Welt und deren Werte?

          Was wir bisher sehen, macht mich ratlos und fassungslos, besonders die Art und Weise, wie der Präsident agiert. Was ich von Vertretern der amerikanischen Wirtschaft höre, klingt dagegen positiv. Die sehen große Chancen: Die Finanzkrise ist vorbei, viele von den Regeln zur Regulierung der Banken, die Obama einführen musste, können jetzt zurückgenommen werden. Amerikas Manager schauen aufs Geschäft und sehen viele positive Aspekte. Mit Trump als Person hat das wenig zu tun.

          Und was wird aus Europa? Rechnen Sie als Unternehmer mit weiteren politischen Schocks wie dem Brexit?

          Als Geschäftsmann muss ich sagen: Der Tag des Brexit-Votums war der traurigste Tag meines professionellen Lebens. Mit England verliert Europa den Garanten des freien Handels. In der Achse London–Paris–Berlin war das liberale London extrem wichtig als Gegengewicht. Jetzt bleibt nur die Achse Paris–Berlin. Aus schwedischer Sicht, die wir immer nahe bei den liberalen Briten waren, ist das ganz was anderes als zuvor. Da fehlt die Balance. Jetzt muss Berlin einspringen und die Rolle des liberalen Geists übernehmen. Kanzlerin Merkel, als die Anführerin Europas, ist unglaublich wichtig. Vieles liegt in der Verantwortung von euch Deutschen.

          Der Ursprung des Wallenberg-Imperiums

          Im Jahr 1856, vor 161 Jahren, gründete André Oscar Wallenberg jene Bank, aus der die heutige SEB hervorging. Das war die Geburtsstunde des Wallenberg-Imperiums. Der Schwerpunkt der Bank lag auf dem Geschäft mit sehr vermögenden Leuten und dem, was man heute „Corporate Banking“ nennt. Diese Anfänge trafen zusammen mit der Industrialisierung, nur hinkte Schweden in der Entwicklung mindestens dreißig Jahre hinter England her. Schweden war ein sehr armes Land, hatte keine besonderen Trümpfe, keine kostbaren Unternehmen. Die Wallenbergs haben mit ihrer Bank kleine Betriebe mit Startkapital versorgt, heute heißt das Venture Capital.

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