Anstieg der Insolvenzen : Fachleute erwarten mehr Firmenpleiten
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Einzelhandel unter Druck: Geschlossenes Bekleidungsgeschäft in der Stuttgarter Innenstadt Bild: dpa
Wegen der staatlichen Corona-Hilfen war die Zahl der Insolvenzen zuletzt niedrig wie nie. Doch nun machen sich hohe Schulden, steigende Zinsen und Lieferkettenstress negativ bemerkbar. Besorgniserregend ist die Situation vor allem für Zulieferbetriebe.
Weil staatliche Hilfsmaßnahmen mit dem Ende der Corona-Pandemie auslaufen, dürfte die Zahl der Insolvenzen über die nächsten Jahre hinweg zunehmen. Nach Beobachtung von Martin Tasma, Partner der Rechtsanwaltskanzlei Hengeler Mueller, haben viele Unternehmen während der Pandemie hohe Schulden angehäuft, die sie nun zurückzahlen müssten. Dazu zählten auch staatliche Corona-Hilfen, die häufig in Form von Krediten gegeben wurden. Tasma berät Mandanten in finanziellen Krisensituationen. Zu seinen Kunden zählen Unternehmen sowie Finanzinvestoren, wie Private-Equity-Gesellschaften oder Distressed Funds, die notleidende Kredite aufkaufen.
Als weitere Belastung für Unternehmen hinzugekommen sind laut Tasma zuletzt die stark gestiegenen Kosten für Energie und Rohstoffe, Zinssteigerungen sowie Unterbrechungen der Lieferketten. Zudem laste auf vielen Branchen ein hoher Transformationsdruck, etwa auf der Automobilindustrie oder dem filialgebundenen Einzelhandel.
Keine Insolvenzwelle, aber gradueller Anstieg
Nach Tasmas Einschätzung wird die Zahl der Unternehmensinsolvenzen nicht abrupt steigen, aber Schritt für Schritt. Er rechnet nicht mit der vielfach heraufbeschworenen Insolvenzwelle, sondern mit einem kontinuierlichen Anstieg über die nächsten Jahre hinweg. Einen Brennpunkt sieht der Wirtschaftsjurist in der Zulieferindustrie. Unternehmen, die etwa große Automobilhersteller beliefern, müssten für ihre Vorprodukte und ihren Energiebedarf deutlich mehr zahlen, während die Nachfragemacht der Großkunden hoch bleibe. Positiv ins Gewicht falle jedoch, dass sowohl Großkonzerne als auch Banken zuletzt sehr umsichtig und konstruktiv agiert hätten und darauf achteten, dass Zulieferer in der aktuellen Situation nicht aufgerieben würden.
Die Kreditversicherung Allianz Trade erwartet in diesem und im kommenden Jahr ebenfalls einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen. In den vergangenen Jahren dagegen hätten staatliche Hilfsmaßnahmen die Zahl der Pleiten trotz der schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen künstlich reduziert. Doch nun dürfte sich die Zahl wieder einem Niveau wie vor der Pandemie annähern.
Laut einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Studie von Allianz Trade werden die Insolvenzen rund um die Welt daher im laufenden Jahr um 10 Prozent steigen und im Jahr 2023 um weitere 14 Prozent. Etwas weniger gravierend fällt die Prognose für Deutschland aus: Hierzulande erwartet Allianz Trade in diesem Jahr einen moderaten Anstieg der Insolvenzen um nur 4 Prozent auf 14 600 Fälle. Im kommenden Jahr sei mit einem Anstieg um 10 Prozent auf 16 130 zu rechnen.
Im vergangenen Jahr waren die Insolvenzen in Deutschland zwar zum zwölften Mal in Folge gesunken, jedoch ist die durchschnittliche Verschuldung der Unternehmen und damit der Schaden pro Insolvenzfall auf ein Rekordniveau von 3,4 Millionen Euro gestiegen. Das sind 55 Prozent mehr als im Jahr 2009 nach dem Höhepunkt der Finanzkrise. Der zu erwartende Anstieg der Insolvenzen zurück auf das Niveau vor Corona könnte nach Einschätzung der Fachleute aufgehalten werden, falls Staaten ihre Hilfsprogramme unter dem Eindruck des Ukrainekriegs verlängern.