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Textilhandel : Corona gibt Adler Moden den Rest

Eine Frau mit Mund-Nase-Bedeckung geht an einem Schild des Unternehmens «Adler Modemärkte» an einem Einkaufszentrum vorbei. Bild: dpa

Der zweite Lockdown trifft geschwächte Unternehmen besonders hart und stellt sie vor die Existenzfrage. Mit den Adler Modemärkten droht dem nächsten bekannten Namen das Aus.

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          Die zweite Corona-Welle erreicht täglich neue Höhepunkte – und trifft immer mehr Unternehmen, die bereits durch die erste Welle erheblich geschwächt worden sind. Nach Galeria Karstadt Kaufhof, Hallhuber und der inzwischen geretteten Appelrath Cüpper hat es nun das Textilhandelshaus Adler Moden getroffen. Das in Haibach bei Aschaffenburg beheimatete, börsennotierte Unternehmen mit 3350 Mitarbeitern hat Sonntagabend den Antrag zur Insolvenz in Eigenverwaltung gestellt. Die schon vor der Corona-Krise schwach aufgestellte Gesellschaft ist nach eigenen Angaben überschuldet.

          Stefanie Diemand
          Redakteurin in der Wirtschaft.

          Als Grund nennt die Billigmode-Kette die Schließung der insgesamt 171 Häuser, davon 142 Geschäfte in Deutschland, im Zuge des neuerlichen Shutdowns Mitte Dezember. Nur 14 Tage haben demnach gereicht, um nicht nur die Hoffnung auf eine Erholung zum Jahresende zu zerstören, sondern auch die ohnehin dünne Liquiditätsdecke reißen zu lassen. In kurzer Zeit musste Adler einen Aderlass im Kassenbestand beobachten. Noch im Mai nach dem ersten Lockdown erhielt das fränkische Unternehmen dank Bürgschaften aus Bayern und Nordrhein Westfalen einen Konsortialkredit über 69 Millionen Euro „als zusätzlichen finanziellen Spielraum zur Stabilisierung des Geschäftsbetriebs“, wie es damals hieß. Damit sollten „strategische Maßnahmen zur schnellstmöglichen Rückkehr zum avisierten profitablen Wachstumskurs“ initiiert werden.

          Bessere Zeiten: Eröffnung eines weiteren Adler-Modemarktes am 26.08.1991 in Neubrandenburg.
          Bessere Zeiten: Eröffnung eines weiteren Adler-Modemarktes am 26.08.1991 in Neubrandenburg. : Bild: Picture-Alliance

          Von dem Kreditrahmen wurden aber kurzfristig schon bis Ende Oktober 45 Millionen Euro gezogen. Schon lange vor dem zweiten Lockdown hatte sich die Lage zugespitzt. In den ersten neun Monaten erhöhte sich der Nettoverlust dramatisch auf 63 Millionen Euro, der Umsatz brach um ein Drittel auf 239 Millionen Euro ein. Angesichts der Liquidität von 70 Millionen Euro war Adler bereits Ende 2019 eher schwach ausgestattet. 2019 erzielte die Gruppe bei einem Umsatzrückgang von 12 Prozent auf 495 Millionen Euro nur einen kleinen Jahresüberschuss von 5 Millionen Euro. Die Lage war ohnedies ernst, weil Adler mit der S&E Kapital als Mehrheitsaktionär mit einem Anteil von 52,81 Prozent selbst ein Pleiteunternehmen im Rücken hat: S&E gehört zur Steilmann SE, die seit etwa vier Jahren insolvent ist und keinen Käufer für ihre Beteiligung gefunden hat.

          Seit Jahren ein kranker Patient

          Für York von Massenbach, Handelsfachmann der Unternehmensberatung Atreus, steckt hinter dem aktuellen Vorgang denn auch mehr: „Adler Modemärkte sind seit Jahren ein kranker Patient“, sagte er der F.A.Z. Sie seien kein „Corona-Opfer“, sondern ein über Jahre schlecht gemanagtes Unternehmen, das nicht seine Hausaufgaben gemacht habe. Einen strategischen Fehler nennt er den Versuch, die ältere Zielgruppe zu verjüngen, um Kunden zu gewinnen. Erfolgreich sei das nicht gewesen. „Die Zielgruppenausrichtung sollte nochmals überdacht werden. Adler ist eine Best-Ager-Fashionkette.“ Es müsse stattdessen stärker in den Onlinehandel investieren; wenn Geld da wäre, das nur vom neuen Investor kommen kann.

          Adler wirft aber auch ein Schlaglicht auf den Textilhandel insgesamt, der die Pandemie-Folgen überdurchschnittlich spürt. Laut Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels (BTE) haben die Modehändler allein im Dezember mehr als die Hälfte des Umsatzes verloren. „Für das Gesamtjahr 2020 gehen wir von einem historischen Umsatzeinbruch von rund 30 Prozent aus“, sagt Rolf Pangels, Hauptgeschäftsführer des BTE Handelsverband Textil. Neben Ladenschließungen ist die Branche zusätzlich davon betroffen, dass wegen Homeoffice und fehlenden Veranstaltungen weniger Kleidung gekauft wird. Und die Perspektiven sind düster: Nach einer Befragung der Unternehmensberatung PWC wollen 29 Prozent der Konsumenten auch in Zukunft weniger für Kleidung und Schuhe ausgeben.

          Mode ist Saisongeschäft

          Selbst wenn die Lust an der Mode nach der Pandemie zurückkäme, muss der Handel die nächste Herausforderung stemmen: Mode ist Saisongeschäft. Solange die Geschäfte geschlossen sind, werden Wintermäntel oder dicke Pullover nicht verkauft. Nachholeffekte gibt es nicht. Im Frühjahr können die Produkte nicht mehr zum vollen Preis verkauft werden. Der BTE spricht von einem gewaltigen Warenproblem. „Durch den Wert- und Preisverfall am Saisonende sind diese Einbußen später nicht mehr aufzuholen“, deutet von Pangels weiteres Ungemach an.

          Das Ausmaß zeigt ebenso die Lage des zweitgrößten Modehändlers der Welt: Der Nettoumsatz von Hennes & Mauritz (H&M) sank nach vorläufigen Zahlen im Geschäftsjahr 2019/2020 (30. November) um 18 Prozent auf 18,3 Milliarden Euro. Nach einer am Montag erschienenen Studie der Unternehmensberatung PWC begannen die Probleme des Modehandels schon vor der Pandemie. Im Jahr 2019 entfielen 5 Prozent der Konsumausgaben der Verbraucher auf Bekleidung und Schuhe, der Umsatz der deutschen Bekleidungshersteller sank um 2,6 Prozent. Die Anzahl der Modeunternehmen fiel zwischen 2010 und 2019 um mehr als 30 Prozent.

          Nun ist erst einmal Rechtsanwalt Christian Gerloff als Sachwalter dem Adler-Vorstand zur Seite gestellt, der schon viele Insolvenzfälle gemeistert hat. Die Herausforderungen sind groß. „Es gibt keine Garantie, dass eine Insolvenz in Eigenverwaltung wie in den positiven Fällen von Gerry Weber und Esprit funktionieren wird“, sagt Handelsfachmann von Massenbach. Er bezweifle, dass der Staat noch einmal Liquidität beisteuern wird. Anders als bei Tom Tailor oder Appelrath Cüpper sei auch kein Investor in Sicht. Dieser traditionsreiche Damenmode-Filialist aus Köln wurde vor einer Woche aus der Insolvenz in Eigenverwaltung gerettet. Alle 16 Filialen werden fortgeführt, die meisten der 900 Beschäftigten behalten ihre Arbeit. Im österreichischen Textilhändler Peter Graf haben sie einen Retter gefunden – der nun für Adler gesucht werden muss.

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