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Arbeitsgericht : Kündigung von Gorillas-Mitarbeitern war rechtens

Ohne gewerkschaftliche Vertretung: Mitarbeiter des Lieferdienstes Gorilla in Berlin Bild: Getty

Mitarbeiter des Lieferdienstes hatten die Arbeit niedergelegt und wurden entlassen. Zentraler Streitpunkt in dem Verfahren war, ob ein Streik zulässig sein kann, wenn er nicht gewerkschaftlich organisiert ist.

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          Ehemalige Radkuriere des Lebensmittel-Lieferdienstes Gorillas, die das Startup im vergangenen Jahr wegen „wilder Streiks“ fristlos entlassen hatte, wollten vor Gericht eine Modernisierung des Streikrechts erzwingen. Vor dem Arbeitsgericht Berlin sind sie jedoch mit diesem Vorhaben gescheitert. Das Gericht wies die Kündigungsschutzklagen von drei Klägerinnen und Klägern am Mittwoch ab. Einer Änderung der Rechtsprechung zu „wilden“ Streiks, wie von den Klägern gefordert, erteilte das Arbeitsgericht damit eine Absage. Zentraler Streitpunkt in dem Verfahren war, ob ein Streik zulässig sein kann, wenn er nicht gewerkschaftlich organisiert ist. Dieser Ansicht der Kläger folgte das Arbeitsgericht nicht. Die Teilnahme an einem Streik sei nur dann rechtmäßig, „wenn dieser von einer Gewerkschaft getragen wird“, teilte das Gericht am Mittwoch mit.

          Katja Gelinsky
          Wirtschaftskorrespondentin in Berlin

          Die Klägerin Duygu Kaya hatte dagegen gefordert, dass deutsche Streikrecht müsse „zeitgemäß angepasst werden“. Einer ihrer Anwälte, Benedikt Hopmann, kritisierte: „Deutschland hat das rückständigste und restriktivste Streikrecht Europas. In den meisten europäischen Ländern wäre der Streik bei Gorillas ein ganz normaler Arbeitskampf gewesen.” Hopmann kündigte an, gegen die Urteile Berufung einzulegen. Man werde notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ziehen, um ein besseres Streikrecht durchzusetzen.

          Die 33 Jahre alte Duygu Kaya, die 2018 aus Istanbul nach Deutschland kam, hatte im Sommer 2021 in Berlin gemeinsam mit anderen Gorillas-Kurieren gestreikt. „Unsere Löhne wurden gestohlen. Wir waren ständig unterbesetzt und wurden zu irrsingen und illegalen Schichten eingeteilt“, scheibt die Klägerin in einer Erklärung. Mehrere Auslieferlager des Startups, das in knapp zwei Dutzend deutsche Städte und noch acht andere Länder liefert, wurden lahmgelegt.

          Gewerkschaften in der Zwickmühle

          Die Streiks und Blockaden, die von der linksalternativen Szene Berlins unterstützt werden, waren nicht gewerkschaftlich organisiert. Gorillas hatte die Streikenden mehrfach aufgefordert, die Arbeit wiederaufzunehmen. Als das nicht geschah, reagierte das Unternehmen mit außerordentlichen und fristlosen Kündigungen. Etwa 350 Fahrradkuriere sind nach Angaben der Gewerkschaft Verdi entlassen worden. Über den „wichtigen Grund“, den eine fristlose Kündigung voraussetzt, machte das Unternehmen in dem Kündigungsschreiben eines Kuriers, das der F.A.Z. vorliegt, keine Angaben. Später verwies ein Unternehmenssprecher auf Anfrage darauf, dass die nichtgewerkschaftlichen Streiks unzulässig gewesen seien.

          Arbeitnehmer haben ein Grundrecht auf Streik, das die Gerichte aus der Koalitionsfreiheit (Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz) ableiten. Zulässig sind Streiks nach der Rechtsprechung jedoch nur, wenn eine Gewerkschaft dazu aufruft, die Arbeit niederzulegen oder den Streik im Nachhinein übernimmt. Eine solche nachträgliche Legalisierung hatte die Gewerkschaft Verdi im Fall der Gorillas-Kuriere abgelehnt.

          Die Gewerkschaften befinden sich im Fall der sogenannten wilden oder verbandsfreien Streiks, in einer Zwickmühle. Einerseits hatte Verdi sich empört über die Entlassungen von Beschäftigten gezeigt, die für bessere Arbeitsbedingungen kämpften. Andererseits stärkt die Rechtslage, die nun vom Arbeitsgericht Berlin bestätigt wurde, die Stellung der Gewerkschaften. Die Kläger hingegen wehrten sich gegen die Koppelung von Streikrecht und Tarifautonomie. Dadurch würden die Gewerkschaften „als Ordnungsmacht instrumentalisiert“, argumentieren sie. Die Wurzel des Streikrechts sei „der Rechtsbruch und nicht die Ordnung“ .

          Beschäftigte haben keinen deutschen Pass

          Das sieht das Bundesarbeitsgericht anders. Das Oberste Arbeitsgericht erklärte „wilde Streiks“ im Jahre 1963 für rechtswidrig – mit der Folge, dass die Teilnahme an einem nichtgewerkschaftlichen Streik einen „wichtigen Grund“ für eine fristlose Kündigung bilden kann. Rechtsanwalt Hopmann verweist darauf, dass diese restriktive Lesart des Streikrechts maßgeblich von dem damaligen Präsidenten des Bundesarbeitsgericht Hans Carl Nipperdey geprägt worden sei, einem der führenden Arbeitsrechtler in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Kläger argumentieren außerdem, dass die deutsche Rechtsprechung zum Streikrecht der Europäischen Sozialcharta widerspreche. Dort werde anerkannt, dass das Streikrecht ein Recht der Arbeitnehmer sei, also nicht das Recht der Gewerkschaften. Es sei deshalb geboten, dass die Rechtsprechung auch ad-hoc-Koalitionen das Streikrecht zuerkenne.

          Der Streik der Kläger war von dem Zusammenschluss „Gorillas Workers Collective“ organisiert worden, der die Interessen der Radkuriere vertritt. Duygu Kaya kritisierte, die Gewerkschaften würden prekär Beschäftigte wie die Gorillas-Kuriere im Stich lassen. Ganz überwiegend haben die Beschäftigten keinen deutschen Pass, viele kommen aus Südeuropa und Ländern des globalen Südens. Nach Angaben der „Gorillas Workers Collective“ haben viele befristete Aufenthaltsgenehmigungen, die an bestehende Arbeitsverträge gekoppelt seien, oder befristete Visa. Gorillas Deutschland hatte nach den Streiks zugegeben, dass es Probleme gebe, aber versichert, dass man an Lösungen arbeite.

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