Fürth nach der Quelle-Pleite : Der niemals endende Strukturwandel
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Eine Stadt wie in Trance: das Fürther Rathaus Bild: Tobias Schmitt
Das Ende von Quelle ist für Fürth eine Katastrophe - wirtschaftlich, psychologisch, symbolisch. Nach AEG und Grundig ist nun das letzte regionale Traditionsunternehmen insolvent. Der Strukturwandel war für Fürth eine Sisyphusarbeit. Nun beginnt er von Neuem.
Über dem Schreibtisch des Wirtschaftsreferenten hängt ein Porträt von Ludwig Erhard. Der Wirtschaftswunderminister war einer seiner Amtsvorgänger, drei Monate arbeitete er hier im Rathaus der alten Industriestadt Fürth. „Die Leute laufen durch die Stadt, als hätte eine Bombe eingeschlagen“, sagt der Wirtschaftsreferent Müller. Seit drei Tagen ist Quelle tot, seit drei Jahren die Nürnberger AEG, seit sechs Jahren Grundig. „Grundig und Quelle, das war Fürth“, sagt Müller und zeigt auf das Bild von Ludwig Erhard. „Der da sagte, die Hälfte der Wirtschaft sei Psychologie. Jetzt müssen aber schon Taten erfolgen.“ Müller sagt das auf Fränkisch, es klingt wie „Daten erfolgen.“ Fürth hat Erfahrung mit schlechten Daten und Tagen, Erfahrung im Katastrophenmanagement, und Müller weiß, was jetzt kommt: Ein Ringen um Fördergelder, kommunale Arbeitsplatzinitiativen, Konzepte entwerfen für bis zu 235.000 Quadratmeter freiwerdende Büroflächen.
Quelle ist seit Montagabend nicht mehr zu retten. Das Versandhaus wird nun „abgewickelt“, ein Großteil der verbliebenen 4000 Arbeitnehmer in der Region Nürnberg wird sehr bald arbeitslos sein, rund 1800 davon aus der Stadt Fürth, also etwas anderthalb Prozent seiner Einwohner. Fürth, das ist eine Stadt im ewigen Strukturwandel: Gerade erst glaubten die Fürther, sie hätten den Wegbruch der alten Industrien bewältigt, da folgt die nächste Hiobsbotschaft. In den neunziger Jahren verloren nach und nach 10 000 Menschen bei Grundig ihre Arbeit. Als der Konzern 2003 zerschlagen wurde, beschäftigte er noch 3800 Angestellte und Arbeiter. Nach dem Ende des Kalten Krieges hatten schon Tausende amerikanische Soldaten und ihre Kaufkraft Fürth verlassen. Die Nürnberger AEG hinterließ 2007 1750 „freie“ Arbeitskräfte. In einer Aufstellung der attraktivsten Wirtschaftsstandorte wurde Fürth in den neunziger Jahren zweiundachtzigster von dreiundachtzig.
Diesmal traf es kein Industrie-, sondern ein großes Handelsunternehmen, das jahrzehntelang Symbol und Garant war für Wohlstand und Sicherheit. Doch dann brach das Zeitalter des Internets an, das eben noch blühende Versandunternehmen in Dinosaurier verwandelte. Die Folgen davon treffen nun eine ganze Stadt.
Quelle prägte zehntausende Biographien
In Fürth sind Altenheime, Schulen und Sportvereine nach Quelle und der Gründerfamilie Schickedanz benannt, das Unternehmen prägte Kindheitserinnerungen von zehntausenden Bürgern. Fast jeder hatte Zugriff auf die Rabattscheine, die eigentlich nur für Mitarbeiter gedacht waren. Aber fast jeder kannte Mitarbeiter. Und fast jeder kennt jetzt Arbeitslose. Ganze Familien sind betroffen, oft arbeiteten beide Ehepartner bei Quelle, manchmal auch die Kinder. Der „Universalkatalog“ und der sichere Arbeitsplatz gehörte im Fürther Selbstverständnis bisher untrennbar zusammen. „Die Quelle“ war für die Region nicht nur ein Arbeitgeber, sondern ein Teil ihrer Identität. Jetzt aber will mancher mit „der Quelle“ nichts mehr zu tun haben: Die Karstadt-Quelle-Versicherungen, die nicht von der Insolvenz betroffen sind, erwägen eine Namensänderung.
Jetzt ist „die Quelle“ nur noch für ein paar hilflose Wortspiele in den Zeitungen gut: Die Quelle versiegt, das Schicksal ist besiegelt, die Quelle ist trocken. Doch vom 9. Juni, als die Muttergesellschaft Arcandor ihren Insolvenzantrag stellte, bis zum späten Montagabend glaubten die meisten fest daran, es werde schon irgendwie weitergehen mit Quelle.
Die Nachrichten klingen nun wie nach einem Flugzeugabsturz. Der Nürnberger Oberbürgermeister Maly bat das städtische Klinikum, bei Quelle eine „krisenpsychologische Ambulanz“ aufzubauen. Kommenden Montag wird die Bundesagentur für Arbeit im alten Quelle-Vertriebszentrum an der Stadtgrenze ein Büro eröffnen, in dem die bis zu 4000 betroffenen Mitarbeiter Anträge aus Arbeitslosengeld ausfüllen sollen. Arbeitsagenturen aus fast 30 bayerischen Städten senden dafür ihr Personal. Von den noch im Sommer etwa 6000 Arbeitsplätzen der Quelle-Dachgesellschaft Primondo in der Region wurden bereits in den vergangenen Wochen rund 2400 „abgebaut“. Einige hundert Mitarbeiter, heißt es, könnten „zügig“ an andere Unternehmen vermittelt werden. Mehr aber werden in die Langzeitarbeitslosigkeit wechseln.