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Frankreichs Atomkraft : Korrosion im Kraftwerkspark

Das Atomkraftwerk in Chinon Bild: Reuters

Probleme in den französischen Atomreaktoren: Wegen Reaktorausfällen drohen der französischen Stromversorgung weitere Stresstests. Wartungsarbeiten und Korrosionsprobleme schränken die Stromerzeugung erheblich ein.

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          Die technischen Schwierigkeiten in den französischen Atomkraftwerken weiten sich aus. Wie der Betreiber EDF mitteilte, wurden erstmals auch an einem Reaktor kleineren Bautyps Hinweise auf Spannungskorrosion entdeckt. Betroffen ist einer der vier Reaktoren in Chinon an der Loire mit einer Leistung von 900 Megawatt. Auch dort sollen Schweißnähte von Rohrkrümmern, die das Sicherheitsinjektionssystem mit dem Primärkreislauf verbinden, Risse aufweisen – ein Phänomen, das bislang nur an fünf Reaktoren der neueren Bautypen mit 1300 und 1450 Megawatt Leistung in Civaux in Westfrankreich, in Chooz in den Ardennen und in Penly in der Normandie festgestellt worden war.

          Niklas Záboji
          Wirtschaftskorrespondent in Paris

          Wie EDF weiter mitteilte, besteht nach den neuesten Untersuchungen jedoch nicht nur an dem älteren Reaktor in Chinon, sondern auch an weiteren neueren Reaktoren der Verdacht auf Korrosion. Dies meint jeweils einen der Reaktoren in Cattenom nahe der Grenze zum Saarland, in Flamanville in der Normandie und in Golfech in Südwestfrankreich. Auch dort gehen die Untersuchungen in Abstimmung mit der Aufsichtsbehörde ASN nun weiter. Die Anlagen produzieren so lange keinen Strom. Selbiges gilt für den zweiten Reaktor in Flamanville und zwei der Reaktoren in Bugey bei Lyon. Ihre Begutachtung wurde von EDF wegen des Korrosionsphänomens ebenfalls als prioritär eingestuft.

          Standorte von Kernkraftwerken in Frankreich
          Standorte von Kernkraftwerken in Frankreich : Bild: F.A.Z.-Grafik niro.

          Der französischen Stromversorgung drohen wegen der Reaktorausfälle weitere Stresstests. Im schlimmsten Falle müsste der komplette Kraftwerkspark einer Überprüfung unterzogen werden inklusive Austausch der betroffenen Bauteile. Zwischen den Jahren 1979 und 1988 in Betrieb genommene Reaktoren mit einer Leistung von 900 Megawatt gibt es 32 an der Zahl, das ist mehr als die Hälfte der insgesamt 56 im Betrieb befindlichen Reaktoren. Von den 1300 Megawatt starken Reaktoren gibt es 20, sie gingen in den Jahren 1985 bis 1994 ans Netz und die verbleibenden vier 1450-Megawatt-Reaktoren in den Jahren 2000 und 2002. Seither wurde wenig investiert und nur ein Reaktorneubau in Auftrag gegeben.

          Nur die Hälfte an Leistung abrufbar

          In den vergangenen Wochen hatte der französische Netzbetreiber RTE phasenweise dazu aufgerufen, zu bestimmten Tageszeiten nicht die Waschmaschine laufen zu lassen oder Handy und Elektroauto zu laden. Schon bevor die Korrosionsprobleme von Dezember an immer größere Kreise zogen, hatte RTE eine ungewöhnlich niedrigere Stromerzeugung durch die französischen Atomreaktoren prognostiziert, da coronabedingt Wartungsarbeiten verschoben worden waren. Die meisten der Ausfälle kommen nun außerplanmäßig hinzu – und wurden wegen des Austauschs der betroffenen Bauteile auch immer weiter verlängert, teilweise bis Ende dieses Jahres.

          Im Ergebnis sind von den rund 61 Gigawatt Leistung, auf die der französische Atomkraftwerkspark kommt, derzeit nur etwas mehr als die Hälfte abrufbar. Die Stromproduktion werde dieses Jahr auf ein 30-Jahres-Tief fallen, kündigte EDF unlängst an. Das hat zum einen Folgen für die Energieversorgung: Frankreich wurde phasenweise wieder zum Stromimporteur und bezog verstärkt Erdgas aus dem Ausland, auch wenn dessen Anteil am Strommix und die Abhängigkeit von Russland geringer ist als in Deutschland; der Anteil der Kernenergie am französischen Strommix liegt derzeit bei knapp 65 Prozent.

          Zum anderen strapazieren die Kraftwerksausfälle die Bilanz des mit mehr als 40 Milliarden Euro ohnehin hoch verschuldeten Kraftwerksbetreibers EDF: Erst Anfang April schossen die Aktionäre 3,1 Milliarden Euro an frischem Kapital nach, der Löwenanteil davon kam vom französischen Staat, der 84 Prozent der Anteile hält. Zudem war EDF von der Regierung angewiesen worden, größere Mengen an Atomstrom an Wettbewerber zu einem staatlich regulierten Preis unter den aktuellen Preisen im Großhandel zu verkaufen. Das soll die Kosten für Haushalte und Unternehmen senken. EDF musste daraufhin teuer Mengen am Markt beschaffen. Die Aktie des Energiekonzerns notiert derzeit bei rund 9 Euro, rund ein Drittel weniger als Anfang Dezember.

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