Film „Versicherungsvertreter“ : Von der Gier der Policenverkäufer
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Der Größenwahnsinnige aus Nordhessen: Mehmet Göker hielt auf seinen Vertriebsevents gern Einzug zu Orffs Kantate Carmina Burana Bild: Sternfilm
Die größten Versicherer kooperierten mit dem Finanzvertrieb MEG. Ein Dokumentarfilm zeigt, mit wem sie sich eingelassen haben. Es verdichtet sich der Eindruck einer straff geführten Sekte.
Mehmet E. Göker hat sie alle vorgeführt: die Axa, die Allianz, die Hallesche, die Central (Generali) und die Inter. All die gierigen Krankenversicherer, die nach einer Umsatzvervielfachung lechzten. Die Nachhaltigkeit der Kundenbeziehungen war nicht so wichtig. Hauptsache Neugeschäft, lautete das Motto.
Nun höhnt ihnen der Deutschtürke aus einem Schwimmbecken in der Ägäis entgegen. „Das war der Standardsatz der Axa: Was können wir tun, damit wir noch mehr bekommen?“, erinnert sich der Gründer des Finanzvertriebs MEG. Zu sehen und zu hören in dem Dokumentarfilm „Versicherungsvertreter“, der seit Donnerstag im Kino läuft.
Gökers aufwendiger Lebensstil verrät mehr über die Normalität der Versicherungswirtschaft, als den betroffenen Konzernen lieb sein kann. Sie zahlten MEG für die Akquise von neuen Kunden absurd hohe Provisionen, die in Einzelfällen bis zu 21 Monatsbeiträgen reichten (für kleine Maklerhäuser sind sechs bis sieben üblich).
Damit haben sie ein Luxusleben subventioniert, das sie in dem höchst kurzweiligen und sehenswerten Kinofilm nun vorgeführt bekommen. 14 Leasing-Ferraris konnte man um 2008 auf dem Höhepunkt von Gökers Schaffen im Kasseler Fuhrpark seines Unternehmens zählen. Incentive-Reisen führten die besten Mitarbeiter nach New York ins Waldorf Astoria und in Shopping-Paradiese, in denen eher fünf- als vierstellige Geldbeträge ausgegeben wurden.
Ein fast prophetisches Gespür
Doch was heißt überhaupt „die besten Mitarbeiter“? Das Geschäftsmodell der MEG beruhte darauf, so viele Adressdatensätze wie möglich zu erwerben - vorzugsweise, indem sie Verbrauchern über das Internet Infomaterial anboten. Die wurden abtelefoniert und die Neukunden in 20-minütigen Gesprächen vom Vertragsabschluss überzeugt.
„Wir, liebe MEGler, sind froh, dass es Sie gibt“, schwärmt in dem Film mit leuchtenden Augen der ehemalige Krankenversicherungschef der Axa, Gernot Schlösser, auf einer Vertriebsveranstaltung seines Partners. Bedarfsgerechte Beratung - Fehlanzeige. Aufklärung über Vertragsbedingungen - keine Zeit. Hinweis auf Finanzstärke und Beitragsstabilität - zu kompliziert. Denn MEG beschäftigte gern ungelernte Vertriebler. Eine Woche Crashkurs in Kassel, dann nach dem Schema Göker Policen verramschen.
„Zu viele Klischees“
Filmemacher Klaus Stern hatte ein fast prophetisches Gespür, als er schon 2006 erkannte, dass sich um Göker eine der spannendsten deutschen Wirtschaftsgeschichten der vergangenen Jahre entwickeln würde. Das hat ihm erlaubt, außergewöhnliches Bild- und Tonmaterial zu sammeln.
Über Jahre hat er ihn begleitet, zeigt ihn bei Sushi-Banketten auf der Firmenterrasse, auf Ferrari-Ausfahrten im Kasseler Umland oder beim sentimentalen Besuch in der Plattenbausiedlung, in der er 16 Jahre lang ein 8-Quadratmeter-Zimmer bewohnte. „Ich dachte, dass sich etwas sehr Interessantes entwickeln könnte“, sagte Stern am Donnerstagabend bei der Frankfurter Premiere seines Films. „Würde man das als Spielfilmstoff anbieten, würde man wohl weggeschickt werden, weil zu viele Klischees drin sind.“
Doch Gökers Geschichte ist real: Durch den rauschenden Erfolg des Fließbandvertriebs hatte er nicht daran gedacht, dass bei zu schneller Beratung viele Kunden auch wieder vom Vertrag abspringen würden. Lange Zeit lagen die Stornoquoten zwischen 20 und 30 Prozent, am Ende näherten sie sich 90 Prozent. Dafür hatte MEG keine Rücklagen gebildet.
In einer Schlüsselszene sieht man, wie Göker in einer Vorstandssitzung zur Furie wird, weil einige Mitarbeiter zu viele Kündigungen verursachen. In rüdem Ton droht er mit Entlassungen. „Es wird hier zugehen wie in einer Justizvollzugsanstalt.“ Dass aber der schnelle Abschluss die Voraussetzung für sein ehrgeiziges Ziel ist, der größte Finanzvertrieb der Welt zu werden, ist in der Rechnung nicht enthalten.
„Er ist wieder angriffslustig“
Im September 2009 musste Göker vom Vorstandsposten zurücktreten, keine zwei Monate später war sein Unternehmen insolvent. Heute fordern die Versicherer 17, der Insolvenzverwalter 4 Millionen Euro von ihm. Die Kasseler Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Untreue und Insolvenzverschleppung. „Wie soll man 20 Millionen Euro zurückzahlen?“, schmettert er seinen Gläubigern von seinem Wohnzimmertisch am türkischen Mittelmeerufer aus lachend zurück.
Hier hält er sich aktuell mit drei Dutzend seiner Mitstreiter auf, vergnügt sich in seinem Pool mit MEG-Emblem am Boden und lädt regelmäßig zu deftigen Grillpartys. „Er ist wieder angriffslustig und will zeigen, dass er ein guter Verkäufer ist“, hat Filmemacher Stern aus seinen Gesprächen in der Türkei mitgenommen. Inzwischen ist Göker Angestellter eines Beratungsunternehmens, das auf den Namen seiner Mutter läuft. Gerüchten nach soll er auch wieder Krankenversicherungen verkaufen.
„Göker wollte geliebt werden“
Drei Kronzeugen hat Stern gefunden, die aus dem Innenleben der MEG berichten. Über die 79 Minuten Spielzeit verdichtet sich der Eindruck einer straff geführten Sekte. Als roter Faden zieht sich durch den Film, wie einer der Kritiker nach all dem Schlamassel endlich sein MEG-Tattoo wegtätowieren lassen will, das viele Mitarbeiter auf eine lebenslange Eintracht einschwören sollte. „Göker wollte geliebt werden und hohe Steigerungsraten“, interpretiert Stern seine Hauptfigur.
Als letztes Rätsel bleibt, warum die hochdotierten Konzern-Manager aus München, Köln und Düsseldorf ihn so hofierten. „Es ist ein strukturelles Problem, dass Versicherer darauf angewiesen sind“, sagt Stern. Wer schon einmal zu später Stunde in die leuchtenden Augen eines Versicherungsvorstands blicken konnte, wenn er von der Kooperation mit MEG berichtet, wird dem Filmemacher beipflichten müssen.