E-Scooter-Boom : Kleinstädter auf Rädern
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Die E-Roller von Lime werden auch in Kleinstädten gut genutzt. Bild: dpa
In den Metropolen gehören die E-Scooter schon lange zum Stadtbild. Jetzt erobern die Roller auch die kleinen Städte. Der Erfolg überrascht selbst die Anbieter.
Zugegeben, auf den Erfolg in Le Havre hat Wayne Ting nicht zu hoffen gewagt. Vielleicht war es ihm auch zuerst nicht wichtig. Die kleine Hafenstadt an der französischen Atlantikküste mit ihren 136.000 Einwohnern sah der Vorstandsvorsitzende des amerikanischen Unternehmens Lime nicht gerade als Hotspot für seine E-Scooter. Jetzt allerdings sitzt er in der Sonne in Berlin und gerät unerwartet ins Schwärmen. „In Le Havre haben die Menschen in den ersten Wochen so viele Fahrten gebucht wie in keiner anderen Stadt“, berichtet er.
Für ihn sei das „schockierend“ gewesen, und er meint damit natürlich die Art positiver Schockwellen, die sich ausbreiten, wenn die Erwartung überraschend übertroffen wird. Dabei ist die kleine französische Provinzstadt kein Einzelfall. In Deutschland könnte man anschließen: Solingen, Oldenburg, Neckarsulm, Lünen und etliche mehr.
In so vielen kleinen Städten haben sich die Lime-Roller schon ausgebreitet, dass das Bild des lässigen Großstädters, der nachts mit wehendem Hemd von Party zu Party fährt, zu bröckeln beginnt. Es lässt sich ersetzen durch den Durchschnittsbürger, der schnell einige Kilometer überbrücken muss, ohne einen Parkplatz zu suchen. Das tut er auch in Oldenburg.
Mit dieser Erfahrung ist Wayne Ting nicht allein. „Die Anbieter sind aufgrund des größeren Potentials in den Großstädten gestartet, aber mittlerweile expandieren mehrere Verleiher auch stärker in mittelgroße Städte“, sagt Daniel Schellong, Fachmann für Mikromobilität bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. Auch dort lasse sich durch eine intelligente Aufstellung schon Geld verdienen.
Weniger Wettbewerber in der Provinz
Die E-Scooter des Berliner Verleihers Tier rollen ebenfalls schon in 60 deutschen Städten, darunter auch in der 67.000-Einwohner-Stadt Herford. „In diesen Städten gibt es natürlich weniger Wettbewerb als in den Großstädten“, sagt ein Sprecher. Statt der teils sechs oder sieben Anbieter, müsse man auf diesen Märkten nur mit der Konkurrenz von einem oder maximal zwei Anbietern rechnen.
Das hat man auch beim amerikanischen Anbieter Bird erkannt: „Die Potentiale der Mikromobilität in Klein- und Mittelstädten werden unterschätzt“, sagt Matthias Wanko, der für Städtepartnerschaften im deutschsprachigen Raum zuständig ist. Gerade in den kleineren Städten beobachte das Unternehmen zum Teil eine deutlich höhere Nutzungsintensität mit längeren und weiteren Fahrten als in den Metropolen. Deshalb hat Bird sein Angebot auf gut 25 Städte mit zwischen 40.000 und 100.000 Einwohnern ausgebaut.
Längst nicht alle Anbieter verfolgen diese Strategie. Der schwedische Verleiher Voi zum Beispiel praktiziert eine Art Satellitenmodell: In der Umgebung einer Großstadt wie Nürnberg ist das Unternehmen auch in Pendlerstädten wie Erlangen und Fürth vertreten. Langfristig sollen die E-Roller auch abseits solcher Metropolregionen fahren.
Aggressive Expansionspläne sind tendenziell eher bei größeren Anbietern zu finden. Lime etwa ging in Deutschland von Beginn an mit einer enorm großen Flotte an den Start. Die Verleiher decken bei der Expansion nicht zwingend das komplette Stadtgebiet ab. Teils geht es auch darum, die Städte mit einer kleinen Flotte strategisch zu besetzen. So können die Verleiher Erfahrungen mit den Gegebenheiten vor Ort sammeln und das Angebot zu einem späteren Zeitpunkt immer noch ausbauen – vor allem, falls neue Wettbewerber vor Ort auftauchen.
Deutschland hat alles, was man braucht
Für Lime ist Deutschland inzwischen der zweitwichtigste Markt für „Mikromobilität“ auf der Welt, direkt nach den Vereinigten Staaten. Gemeint ist damit jene Art von Transport, die helfen soll, den Klimawandel aufzuhalten: kleine, leichte und vor allem elektrifizierte Gefährte als unkomplizierte Alternative zum Stahlkoloss Auto.
In Deutschland gibt es alles, was für einen Erfolg wichtig sei, zählt der Amerikaner Ting auf: viele Menschen (und damit potentielle Kunden), eine gute Infrastruktur und viele Fahrradwege, die man gefahrlos nutzen kann – auch ohne die beruhigende Knautschzone eines Autos.
Trotzdem ist er noch nicht am Ende angelangt, das Geschäft kontinuierlich auszubauen: Neben der Eroberung der Kleinstadt will Ting dies auch mit einer Ausweitung des Angebots schaffen: „Wir haben unser Ziel noch nicht vollständig erreicht, eine vollständige Alternative für ein Auto zu bieten“, sagt Ting. Deshalb arbeite seine Unternehmen daran, neben E-Bikes und E-Rollern noch andere Fortbewegungsmittel zur Verfügung zu stellen. Welche kann er noch nicht verraten.
Dazu müssen die Dienste allerdings auch noch günstiger werden. Bisher kostet selbst eine kurze Fahrt häufig mehr als ein Ticket für den öffentlichen Nahverkehr. Deshalb offerieren die Anbieter wie Lime inzwischen Pakete: Scooter lassen sich dann für einen Tag, eine Woche oder sogar einen Monat mieten. Das ähnelt dann den Abo-Modellen aus dem Streaming-Bereich. Das hat dann auch den Vorteil, dass sich die Leute immer wieder auf einen E-Scooter stellen. Nicht nur in den Metropolen.