Start-up Wingcopter : Hessische Drohnen versorgen bald Krankenhäuser in den USA
- -Aktualisiert am
Weite Entfernungen: Auftraggeber Spright will mit den Wingcopter-Drohnen abgelegene Krankenhäuser in den ländlichen Vereinigten Staaten beliefern. Bild: Wingcopter
Lieferungen per Drohne klingen nach Zukunftsmusik. Doch die Wingcopter aus der Nähe von Darmstadt fliegen bereits seit mehreren Jahren. Das Start-up konnte sich jetzt einen der bislang größten Aufträge für Lieferdrohnen überhaupt sichern.
Das deutsche Start-up Wingcopter hat sich einen der bislang größten kommerziellen Aufträge für Lieferdrohnen auf der Welt sichern können. Das Unternehmen aus Weiterstadt bei Darmstadt liefert für mehr als 16 Millionen Dollar Drohnen an eine Tochtergesellschaft des medizinischen Flugdienstes Air Methods aus den USA, wie es der F.A.Z. vorab mitteilte. Die unbemannten Fluggeräte sollen in ländlichen Regionen Amerikas Medikamente, Impfstoffe, Blut und Laborproben zwischen medizinischen Einrichtungen transportieren.
Zum Einsatz kommen Lieferdrohnen des Typs Wingcopter 198, die bis zu drei Pakete von zusammen 6 Kilogramm über 75 Kilometer transportieren können. Wingcopters Drohnen fliegen mit einer patentierten Schwenkrotoren-Technologie, die es ihnen ermöglicht, senkrecht zu starten und in der Luft dann wie ein Flugzeug zu fliegen. So erreichen sie Geschwindigkeiten von bis zu 240 Stundenkilometern, nach Unternehmensangaben der Weltrekord für Drohnen. Im Betrieb sind Geschwindigkeiten von bis zu 150 Stundenkilometern üblich.
Erster Einsatz in Kansas
Die Drohnen fliegen autonom entlang zuvor festgelegten Routen. Mittels einer Kamera und Sensoren an Bord können sie automatisch unvorhergesehenen Ereignissen wie Fallschirmspringern oder Vogelschwärmen ausweichen. Ein Pilot überwacht sie weiterhin aus der Ferne. Bei entsprechender gesetzlicher Freigabe soll aber es künftig möglich sein, dass ein Pilot bis zu zehn Drohnen gleichzeitig steuern kann. Pakete werden per Seilwinde abgesetzt, sodass die Drohne nicht landen muss. Auch können die drei Pakete separat abgeseilt werden, was drei Lieferungen auf einem Flug ermöglicht.
Für erste Tests kooperiert Spright, die Drohnen-Tochtergesellschaft von Air Methods, mit dem Hutchinson Regional Health System in Kansas. Langfristig will das Unternehmen mit den Wingcopter-Drohnen ein flächendeckendes medizinisches Liefernetzwerk in den USA errichten. Die Muttergesellschaft Air Methods fliegt bislang mit Helikoptern 300 Standorte in 48 Bundesstaaten an.
„Die ländlichen Regionen in den USA sind die mit dem größten Potential für Drohnenflüge“, sagt der 31-jährige Tom Plümmer, Mitgründer und Geschäftsführer von Wingcopter. Statt in Städten mit Drohnen Pakete auszufliegen, wie es beispielsweise Amazon versucht hat, sei es zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoller, dort zu fliegen, wo sich aufgrund der großen Distanzen ein Auto nicht lohnt.
Das Analyseinstitut Magna Intelligence schätzt, dass der Markt für Transportdrohnen bis Ende des Jahrzehnts auf 53 Milliarden Dollar anwachsen könnte. Der Wingcopter-Konkurrent Zipline aus Kalifornien wird von seinen Investoren inzwischen mit 2,7 Milliarden Dollar bewertet. Wingcopter, erst 2017, hat seine Drohnen schon für Projekte mit den Lieferkonzernen DHL und UPS sowie mit dem Pharmaunternehmen Merck aus Darmstadt fliegen lassen. Plümmer und sein Studienfreund Jonathan Hesselbarth an der TU Darmstadt gründeten das Unternehmen, als dritter im Führungsteam stieß Ansgar Kadura kurz nach dem Start dazu.
Genauso wichtig sind den Weiterstädtern aber humanitäre Anwendungen ihrer Technologie – es dauert keine fünf Minuten, bevor Plümmer im Gespräch darauf zu sprechen kommt. „Ich habe zwei Jahre lang als Freiwilliger in Ghana gearbeitet“, erzählt der Gründer. „Da habe ich gesehen, was es heißt, wenn keine Lieferketten existieren, weil Straßen kaputt oder überschwemmt sind.“ Die Wingcopter-Drohnen fliegen deshalb auch für Unicef. In Malawi versorgen sie 40 abgelegene Krankenstationen von einem Bezirkskrankenhaus aus mit Medikamenten, Blutkonserven und anderer lebensrettender Ausrüstung. Im Pazifik-Inselstaat Vanuatu wurden zu einer Krankenstation, die normalerweise nur per sechsstündigem Fußmarsch erreichbar ist, Impfstoffe für Kinder per Drohne geliefert.
Eine andere Anwendung schließt Plümmer dagegen aus: „Das Militär beliefern wir nicht.“
Der kommerzielle Auftrag von Spright soll Wingcopter jetzt den Weg zur Serienproduktion ebnen. Wie viele Drohnen die Amerikaner für die 16 Millionen Dollar Auftragsvolumen erhalten, verrät das Unternehmen nicht. Bekannt ist lediglich, dass die Drohnen aus Weiterstadt pro Stück einen mittleren fünfstelligen Betrag kosten, je nach Konfiguration und Bestellmenge. Die dürfte in jedem Fall groß sein: Während Plümmer durch seine Produktionshalle führt und stolz die Montage per Roboter zeigt, sagt er, es sei alles bereit dafür, hier „mehrere tausend Drohnen im Jahr“ zu produzieren. Zudem habe sich Spright die Option darauf gesichert, das Vertragsvolumen noch einmal zu verdoppeln.
Darüber hinaus liegt dem Auftrag eine Partnerschaft zugrunde: Mit dem geschlossenen Vertrag wird Wingcopter zum exklusiven Anbieter von Lieferdrohnen für Spright, während das amerikanische Unternehmen wiederum zum exklusiven Anbieter von Wartung, Reparatur und Instandhaltung des Wingcopter 198 für andere amerikanische Unternehmen wird. „Wir können miteinander wachsen“, sagt Plümmer. Klar scheint aber auch: In Weiterstadt erwartet man weitere Aufträge aus Amerika.