Deutsches Start-up : Diese Idee ist radikaler, als Google und Facebook je waren
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Erst stoppen, dann kaufen: die Smartphone-Anwendung im Einsatz Bild: Wysker
Mit der Blockchain zur Zukunft des Einkaufens: Das Start-up Wysker wagt die erste Investitionsrunde mit Digitalwährungen in Deutschland. Der Gründer erklärt FAZ.NET, was er genau vorhat.
Die Idee ist so kühn, dass sie entweder grandios scheitern oder zum Riesenerfolg werden muss. Die Rezeptur dieser Vision besteht aus der Blockchain, einer jungen Zielgruppe mit Smartphone und dem unbedingten Glauben der Gründer an eine schnellere und grundsätzlich andere Einkaufswelt. Wysker heißt ein neues Start-up aus Berlin, das zwar im Jahr 2017 zum ersten Mal in Kontakt mit der Außenwelt kommt, sich aber eigentlich schon irgendwo in der Zukunft befindet.
Dahinter steckt eine Shopping-App, die anders funktioniert, als alles, was man kennt: 30 Bilder in der Sekunde rauschen hier beim Einkaufen über den Bildschirm. Das können zum Beispiel Badeanzüge sein, Comics oder Schuhe. Wenn ein Design einer Marke in der Farbe gefällt, hält der Nutzer den Finger auf den Bildschirm und stoppt damit das wilde Gewusel. Von dort aus kann er direkt zum digitalen Einkaufsladen springen und gleich bezahlen. Wysker verkauft kein Produkt selbst, sondern vermittelt Käufer zu Händlern.
„Google und Amazon sind alte Liga“
Die Geschichte des Unternehmens ist auch eine Geschichte von digitalen Überfliegern, die in ihren früheren Berufen in großen Technologiekonzernen nicht nur zu viel Geld, sondern auch zu einigen Ideen gekommen sind. Und nun noch radikaler sein wollen, als es die Googles, Facebooks und Amazons dieser Welt sind. Oder wie es Tobias Haag, der Gründer und Chef von Wysker im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausdrückt: „Ich bin kein Feind von Google und Amazon. Ich glaube nur, die sind inzwischen etwas alte Liga.“
Haag hat früher selbst für Google gearbeitet, wurde ausgewählt als einer von Tausenden Bewerbern und zeigte dann, dass er nicht nur sich, sondern auch seine Ideen gut verkaufen kann. „Salesperson of the Year“, Verkäufer des Jahres, wurde Haag und strebte schnell nach neuen Herausforderungen.
Seit zwei Jahren arbeitet er nun an seiner App, ohne auch nur einen Euro zu verdienen. Ins Boot geholt als Mitgründer hat er seine Schwester Ann-Laurienne Haag, die das operative Geschäft betreut, und seinen Freund Kai Jaeger als Techniker, der früher für Microsoft und die Deutsche Bank gearbeitet hat.
Insgesamt liest sich die Liste der Angestellten, die bislang alle kein Gehalt beziehen, wie ein Technologielexikon. Aus Googles KI-Schmiede Deepmind kommen Leute, genauso von Start-ups und Fintechs. Blockchain-Fachleute von der Wirtschaftsprüfung KPMG beraten das Jungunternehmen. 20.000 Euro Startkapital steuerte ein Bekannter bei, doch nun muss Geld her, damit aus dem Prototyp einer App ein Produkt werden kann.
Da setzt der zweite radikale Punkt an: Wysker strebt gerade das erste ICO, ein sogenanntes „Initial Coin Offering“, in Deutschland an, um damit 25 Millionen Euro einzunehmen. So werden Investitionsrunden genannt, die in Kryptowährungen organisiert sind. Diese neuen, unregulierten Kapitalspritzen sind in der digitalen Finanzwelt gerade populär und schrecken die Regulatoren auf: China hat sie schon verboten, Südkorea prüft die ICOs nun genau.
Das hängt vor allem damit zusammen, dass meistens Millionen Dollar an Gründer fließen, die noch überhaupt kein Produkt, sondern nur eine vage Idee vorzuweisen haben. Gleichzeitig haben Hacker schon in ICOs Geld entwendet, weil die Transaktion der Digitalwährung nicht ausreichend abgesichert war. Wysker wagt sich also in ungewohnte Gewässer, in denen Minen herumschwimmen, die eine Unternehmung schnell versenken können. Das ficht Haag aber nicht an: „Wir haben im Gegensatz zu anderen ICOs nicht nur ein fertiges Produkt, sondern auch eine genaue Vorstellung, warum wir das genauso machen.“
Wer was mag
Der Schritt über den ICO und damit zu Digitalwährungen, die auf der Blockchain basieren, hängt damit zusammen, dass Wysker seinen Kunden mehr Macht über die eigenen Daten geben will. Unternehmen wie Facebook und Google bieten ihre Services kostenlos an und -nutzen im Gegenzug die Daten ihrer Nutzer. Das Geschäft ist akzeptiert, sie bringen den Kunden Nutzen und den Unternehmen Milliardenumsätze. Allerdings wissen die Nutzer nicht, wie die Empfehlungen auf Amazon, die Newsfeeds auf Facebook oder die Suchergebnisse auf Google auf uns zugeschnitten sind. Die Daten nützen vor allem den Unternehmen, die sie an Werber vermarkten, die wiederum Kundenwünsche abfragen, um sie an Marken weiterzuleiten, die Käufer suchen.
Werber wollen wissen, woran ein Kunde interessiert ist. Mit der App fragt Wysker ziemlich genau ab, welche Produkte eines Unternehmens jemand mag, welche Farbe die liebste ist und welche Zahlungsbereitschaft der Nutzer hat. Jemand, der aus 30 Bildern in der Sekunde ein Produkt herausfiltert, zeigt eindeutiges Kaufinteresse. Das ist ein Traum für Werber. Doch Wysker will die Nutzer dafür bezahlen: Dafür haben Haag und seine Mitgründer einen sogenannten Wys Token erschaffen, eine neue digitale Währung, mit der Nutzer in der App bezahlen können. Doch nicht nur das, sie können auch Wys Token erhalten, falls sie ihre Daten mit Werbetreibenden teilen. Oder sie erhalten sie als Belohnung für besonders viele durchgeklickte Produkte. Unternehmen auf der anderen Seite können Wys Token kaufen, um sich so Zugriff auf für sie interessante Zielgruppen zu verschaffen: Etwa junge kaufkräftige Frauen, die sich vor allem für rote Kleidung interessieren und mehr als 20 Minuten am Tag in der App verbringen.
So will Wysker im Laufe der Zeit immer mehr Token verkaufen, die wiederum das Unternehmen finanzieren. An diesem Sonntag hat das Start-up mit dem Vorverkauf der eigenen Digitalwährung begonnen. Für jeweils 2 Cent, umgerechnet in die Digitalwährungen Bitcoin oder Ethereum, können Investoren Wys Token kaufen. 1,5 Milliarden dieser Token will Wysker in einem ersten Schritt verkaufen und somit 25 Millionen Euro einnehmen. Käufer können dann entweder damit Produkte bezahlen, als Unternehmen Werbezielgruppen ansprechen – oder als Investor darauf setzen, dass sich der Preis für einen Token alsbald steigert und dann damit handeln. Ebenso wie bei Bitcoin ist die Zahl der Wys Token begrenzt, die ausgegeben werden können, wodurch ein Markt entsteht.
Gleichwohl steckt in dem Produkt ein hohes Risiko: Nutzer müssen die App und die Funktionsweise erst einmal verstehen. Auf einen Bierdeckel passt das Konzept nicht. Zudem ist der Gedanke an Digitalwährungen für viele ein Hindernis. Die Zielgruppe sind also in einem ersten Schritt digitalaffine Technologiefans. Der Erfolg der App hängt drittens auch davon ab, ob sich Kryptowährungen langfristig durchsetzen. Außerdem muss das Produkt nicht nur Nutzer, sondern auch Unternehmen und Werber anlocken, sonst steht denen, die sich ein Produkt kaufen wollen, niemand gegenüber, der für seine Produkte auch werben will. Richtig aus der Welt schaffen kann Gründer Haas diese Sorgen nicht. Doch ein Versprechen kann er geben: Dass er sich nicht mit dem Kapital aus dem Staub machen will oder sein Start-up möglichst schnell an eine große Plattform verkauft. „Da habe ich zu lange dran gefeilt. Das ist mehr als mein Baby“, sagt er.