
Kommentar : Innovationen für die Katz
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Über viele Jahre waren in Deutschland vor allem bessere Produkte der Garant für Erfolg. Jetzt werden die Unternehmen Opfer ihrer eigenen Innovationen.
Nicht alles, was neu ist, ist gut. Weder für Menschen noch für Unternehmen. Vom Flug-Auto über Stehtoiletten für Frauen bis zum Kachel-Windows – die Liste gefloppter Innovationen ist lang und bunt. Aber was kann falsch daran sein, wenn bestehende Produkte besser werden? Nicht neu, nur besser: effizienter, billiger, schneller. Kann das schlecht sein fürs Geschäft? Im Land der Tüftler, das davon lebt, Maschinen zu bauen, Anlagen und Autos, und zwar immer bessere, ist das ein ungemütlicher Gedanke. Bessere Produkte zu machen ist der Kern des deutschen Erfolges.
Und doch finden sich Belege, dass es für Unternehmen schlecht sein kann, bessere Produkte zu bauen. Saarstahl zum Beispiel: Der traditionsreiche Stahlkocher mit wechselvoller Geschichte hat 450 Millionen Euro in eine neue Freiformschmiede investiert, die größte Industrie-Investition im Saarland seit Jahren. Die neue Schmiede gehört zu den modernsten der Welt, Wellen für Generatoren und Turbinen in High-End-Qualität können die Saarländer machen. Nur: Solche Produkte sind nicht mehr gefragt. Seit die Amerikaner Schiefergas fördern, in Deutschland die Energiewende tobt, die Kriege im Nahen Osten den Ölpreis drücken, gibt niemand Geld aus für teure Hightech-Turbinen. Wenn Kunden aus der Energiewirtschaft investieren, dann reicht billig. Saarstahl hat alles richtig gemacht und doch ein Problem.
Wie viele „Innovationen“ aus Deutschland zielen eigentlich einzig und allein darauf ab, Energie zu sparen? Industrievertreter, die sonst zurecht hohe Energiepreise beklagen, bekommen jetzt kalte Füße, weil Energie billig ist, und müssen sogar höheren Ölpreisen das Wort reden. Das passiert, wenn man Innovation vor allem als Effizienzfortschritt versteht und einen Markt falsch einschätzt.
Deutsche Unternehmen werden Opfer des eigenen Erfolgs
Doch das Phänomen ist nicht auf den politisierten Energiemarkt beschränkt. Die deutschen Druckmaschinenbauer beispielsweise, Pioniere, Weltmarktführer, Ikonen ihres Faches. Sie bauen heute Maschinen, die kaum besser zu machen sind, groß, schnell, effizient. So effizient, dass Druckereien immer weniger neue Maschinen brauchen. Das Geschäft ist fast tot, obwohl der weltweite Drucksachenmarkt immer noch wächst. Die Druckmaschinenbauer sind Opfer ihrer eigenen Produktivität geworden. Mit Anlauf gegen die Wand, ohne Plan B.
Über viele Jahre waren in Deutschland vor allem bessere Produkte der Garant für Erfolg. Dabei hat es niemanden gestört, dass sich viele Unternehmen selbst nicht veränderten. Die einen bauen seit jeher Druckmaschinen und verkaufen sie in alle Welt. Die andern kochen Stahl und verkaufen ihn ebenfalls in aller Herren Länder. Sie haben ihr Geschäftsmodell nicht geändert. Seit Generationen nicht. Das ist vielleicht bald zu wenig. Wenn die stolze deutsche Industrie Innovationen nicht anders begreift, umfassender, wird sich das rächen. Sie sollte sich an Schumpeters Diktum von der Innovation als Durchsetzung einer „technischen oder organisatorischen Neuerung“ erinnern. Bessere Produkte mögen aus Deutschland kommen. Aber bessere Geschäftsmodelle?
Wer braucht in Zukunft noch Fabriken?
Die Digitalisierung stellt althergebrachte Wertschöpfungsketten und Erfolgsprinzipien noch mehr in Frage. Wie das Wirtschaften der Zukunft sein wird, zeichnet sich zwar erst schemenhaft ab, aber es wird kaum ein Stein auf dem anderen bleiben. Die Initiativen der deutschen Wirtschaft zum Schlagwort Industrie 4.0 gleichen allerdings noch viel zu oft generalstabsmäßig geplanten Projekten zur Ertüchtigung von Fabriken für das Digitalzeitalter – anstatt die Frage zu klären, wer Fabriken überhaupt noch braucht.
Die Produktion wird modular werden, kooperativ. Vielleicht wird bald ein Teil der Produkte direkt vor Ort beim Kunden dreidimensional gedruckt. Vielleicht wird es auch mehr kleine Produktionsstätten geben, regional verteilt und international vernetzt. Vielleicht werden nur noch wenige ganz große Produktionskonzerne übrig bleiben, die selbst Nischen beliefern – schließlich kann die Fabrik der Zukunft auch „Losgröße eins“ kostengünstig produzieren.
Wenn die Software künftig den Takt vorgibt, wie heute schon im Smartphone-Markt zu beobachten ist, was passiert dann mit den Hardwareherstellern, die „nur“ Maschinen bauen und Anlagen? Wie wird die Share-Economy die Bedeutung von Eigentum beeinflussen? Teilen statt besitzen, mieten statt besitzen, das sind nicht nur Schlagworte. Uber ist heute das größte Taxiunternehmen der Welt, ohne ein Taxi zu besitzen. Airbnb ist größer als jede Hotelkette, ganz ohne Hotel. Beides sind keine Unternehmen aus Deutschland.
Von Matt Groening, dem Vater der Simpsons, ist diese Vision überliefert. „Bisher wurde Zukunft immer als große Einheit dargestellt: Alle Menschen in gleichen Stretch-Uniformen. Aber ich glaube, die Zukunft wird erheblich variantenreicher sein als die Gegenwart. Alles ist ständig in Bewegung, es hängen viel lose Kabel aus den Wänden.“ Vielleicht wird sogar das passieren. Die deutsche Wirtschaft sollte jedenfalls auf alles vorbereitet sein. Nur Kabel zu liefern kann nicht ihr Anspruch sein, auch nicht die besten Kabel der Welt.