Lage auf dem Buchmarkt : Der Anfang vom Krisenende
- -Aktualisiert am
Aufbauarbeiten für die Frankfurter Buchmesse 2021 Bild: Frank Röth
Mit der Eröffnung der ersten physischen Buchmesse seit Pandemiebeginn zeigt sich: Die Buchbranche ist stabiler als gedacht. Den Riesen im deutschen Markt hat die Krise gar gestärkt.
Schon drei Wochen bevor er die erste Buchmesse seit Ausbruch der Pandemie eröffnen konnte, machte Messedirektor Juergen Boos klar, dass die Krise für ihn und sein Unternehmen noch nicht vorbei ist. „Die 18 Monate waren für die Buchbranche okay, für die Buchmesse waren sie nicht okay“, sagte er und beschrieb dann das seltsame Gefühl, das ihn beschleicht, wenn er in den altbekannten Hallen steht, aber noch immer viele Stühle leer bleiben müssen.
Denn wenn an diesem Mittwoch die 73. Frankfurter Buchmesse beginnt, dürfen zwar wieder Besucher auf das Messegelände kommen, Aussteller ihre Stände aufstellen und Autoren ihre Bücher präsentieren, aber es sind viel weniger als 2019. 25.000 Besucher je Tag hat die Stadt Frankfurt erlaubt – insgesamt also maximal 125.000. Vor zwei Jahren waren es mehr als doppelt so viel gewesen. Dass sich bis zum Ende nun doch rund 2000 Aussteller aus 80 Ländern angemeldet haben, kann Boos als Erfolg verbuchen, auch wenn 2019 noch 7500 kamen und er sich noch im März mindestens 2000 mehr erhofft hatte. Er nennt dieses Jahr nun ein „Übergangsjahr“ und diese Ausgabe der Messe „eine unter veränderten Vorzeichen“.
„Hätten wir im Frühjahr letzten Jahres, nach der Absage der Leipziger Buchmesse, gewusst, was noch folgen würde, uns hätte wohl der Mut verlassen“, sagte auch die oberste Repräsentantin des deutschen Buchmarktes, Karin Schmidt-Friderichs, in ihrer Eröffnungsrede am Dienstag. Aber sie machte auch deutlich, dass sich die Buchmesse und der Buchmarkt selbst in verschiedenen Krisenstadien befinden – 0,7 Prozent lag der Umsatz der Branche bis Oktober nämlich über dem Umsatz im gleichen Zeitraum 2019. Schon 2020 konnte der Buchmarkt mit 0,1 Prozent ein leichtes Plus verzeichnen. „Die Aufholjagd läuft auch in diesem Jahr vielversprechend“, sagte Schmidt-Friderichs.
„Fantasievolle Omni-Channel-Strategie“
Wie groß die Umbrüche sind, die sich hinter den 0,7 Prozent Plus verbergen, lässt sich gut am größten Buchhändler der Republik erkennen. Während Schmidt-Friderichs und Boos die Buchmesse eröffnen, sitzt Michael Busch vor einer Videokamera. Als Hintergrund hat der Geschäftsführer von Thalia ein Foto von einem T-Shirt eingestellt. „Rettet unsere Läden jetzt!“, steht auf dem T-Shirt. Thalia hat seinen Umsatz in den vergangenen zwölf Monaten um 7 Prozent steigern können, auf rund 1,1 Milliarden Euro. Das Betriebsergebnis wird das Unternehmen erst gegen Ende des Jahres veröffentlichen, aber Busch sagt schon jetzt: Es werde auf keinen Fall im roten Bereich liegen. Er und der Rest des Vorstandes mussten niemanden entlassen, keine einzige Filiale schließen. Es sind sogar neun weitere Läden hinzugekommen. „Wir gehen als Thalia gestärkt aus dieser Krise heraus“, sagt Busch.
Den Grund dafür nennt ein Branchen-Experte Thalias „fantasievolle Omni-Channel-Strategie“. Denn schaut man sich die Zahlen des Buchhändlers genauer an, sind die Folgen der Pandemie natürlich deutlich zu erkennen. Busch sagt, Corona habe seinem Unternehmen einen Schaden von 65 Millionen Euro gebracht. Der Umsatz in den Thalia-Filialen ist in den vergangenen zwölf Monaten verglichen mit Oktober 2019 bis September 2020 um 16 Prozent zurückgegangen. Ein Drittel weniger Menschen besuchten die Läden. Auch im gesamten stationären Buchhandel liegen die Umsätze, verglichen mit den ersten zehn Monaten 2019, immer noch mehr als 13 Prozent im Minus. Schmidt-Friderichs, die sich besonders gerne als Fürsprecherin der kleinen Verlage und unabhängigen Buchhandlungen zeigt, bereitet das große Sorgen.
Kampfansage an Amazon
Um Thalia dagegen dürfte sie sich keine Gedanken machen. Auch wenn ein großer Teil der inzwischen rund 320 Filialen in Deutschland monatelang schließen musste, hat sich die Strategie des Branchenriesen bewährt. Das E-Commerce-Geschäft von Thalia ist in den vergangenen zwölf Monaten um 65 Prozent gewachsen. Inzwischen macht der Onlinehandel 40 Prozent des Gesamtumsatzes aus, mehr als eine halbe Milliarde Euro. „Einen Knüller“, nennt Busch das. Als die Filialen schließen mussten und die Angst vor alles lahmlegenden Corona-Fällen in den Logistikzentren groß war, baute Thalia seine IT um und machte die Filialen zu Hunderten kleinen Logistikzentren. Kunden konnten sich fortan im Chat beraten lassen, das soll auch bald per Video möglich sein. In diesem Monat hat Thalia die Idee der kleinen unabhängigen Buchhändler aufgegriffen und liefert Ware nun auch per Lastenrad aus. Aber vor allem arbeitet das Unternehmen gerade an einer Plattform, mit der es Amazon den Kampf ansagen will. „Die Krise hat uns am Ende in eine Position gebracht, die wir eigentlich erst in zwei bis drei Jahren für möglich gehalten hatten“, sagt Busch.
Auch die Buchmesse will ihre digitalen Erfahrungen aus den vergangenen 18 Monaten mit in die Zukunft nehmen. Dieses Jahr gibt es wieder das Format „The Hof“. Hier sollen die Branchenvertreter in einer virtuellen Bar mit Livemusik auch auf Abstand Kontakte knüpfen können. Langfristig will die Buchmesse das ganze Jahr über Online-Formate anbieten. „Die Zukunft der Messen wird digital sein“, sagt die Leiterin des Vertriebs. Das bedeutet auch: flexibler zu werden. Aus der Not heraus hatte die Buchmesse schon im vergangenen Jahr ihr Kernteam radikal geschrumpft – von einst rund 90 Mitarbeitern sind nun nur noch ein paar Dutzend da. Es soll bei einem kleinen, agil arbeitenden, aber „atmenden“ Team bleiben, wie Boos es beschreibt. Aber auch wenn er versichert, sein Unternehmen sei mit der 73. Buchmesse nun wieder „wirtschaftlich gut und sicher aufgestellt“ – die Existenzsorgen, die Corona mit sich gebracht hat, sind noch nicht verschwunden.