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Widerstand gegen Börsenfusion : „Ich halte einen Sitz der Börse in London für ausgeschlossen“

  • Aktualisiert am

Michael Boddenberg ist CDU-Fraktionschef im Hessischen Landtag. Bild: Frank Röth

Hessen erhöht den Druck auf die Deutsche Börse: Die Abgeordneten wollen den Sitz der geplanten Megabörse nach Frankfurt holen. Heftige Kritik kommt von den britischen Tories. Jetzt geht der Deutsche-Börse-Chef in die Offensive.

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          Der Druck aus Hessen auf die Deutsche Börse steigt: Nach Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) dringen auch Landtagsabgeordnete von CDU und SPD auf Änderungen bei der geplanten Fusion mit der Londoner Börse LSE. Sie fordern, dass der Holding-Sitz der dann zusammengeschlossenen Megabörse wegen des Brexit von London nach Frankfurt verlagert werden muss.

          In der britischen Hauptstadt regt sich jedoch Widerstand gegen das Verlangen aus Wiesbaden. Mehrere Parlamentarier der britischen Konservativen forderten Premierministerin Theresa May auf, den gut 25 Milliarden Euro schweren Deal notfalls zu untersagen.

          Die hessische Börsenaufsicht, die EU-Kommission und die britischen Behörden müssen den Zusammenschluss spätestens bis Ende Juni genehmigen. Viele deutsche Politiker und die Finanzaufsicht Bafin sind jedoch der Ansicht, dass die deutsch-britische Börse nach dem Brexit nicht wie ursprünglich geplant in London angesiedelt werden kann. „Ich persönlich halte einen Sitz der Holdinggesellschaft in London für ausgeschlossen und teile in diesem Zusammenhang die Meinung der Bafin“, sagte Michael Boddenberg, der CDU-Fraktionsvorsitzende im Hessischen Landtag.

          Börse-Chef lädt ins Kurhaus

          Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter hat die hessischen Parlamentarier für Mittwochabend zu einem Treffen ins edle Kurhaus Wiesbaden geladen. Der wirtschaftspolitische Sprecher der hessischen SPD-Fraktion, Tobias Eckert, hofft dabei auf Aussagen zur Sitzfrage. „Wenn man zum jetzigen Zeitpunkt eine solche Veranstaltung mit der hessischen Landespolitik macht, kann man nicht nur nett essen und übers Wetter reden. Wenn so ein Termin Sinn machen soll, muss man inhaltlich etwas sagen.“

          Bisher hat sich Kengeter zu einer möglichen Sitzverlagerung bedeckt gehalten. „Das ist eine spekulative Frage, die ich im Moment nicht beantworten kann“, sagte er in der vergangenen Woche. Mit der Fusion vertraute Personen gehen davon aus, dass sich daran kurzfristig nichts ändern wird.

          Die Unternehmen haben mehrfach betont, zunächst den Fortgang des EU-Verfahrens abwarten zu wollen. Vielen Deutsche-Börse-Managern ist Finanzkreisen zufolge jedoch klar, dass es in den nächsten Monaten Änderungen an dem Deal geben muss, um Chancen auf grünes Licht von der hessischen Börsenaufsicht zu bekommen.

          „Es geht um unsere Kronjuwelen“

          Ob die LSE und die britische Politik dazu bereit sind, steht jedoch in den Sternen. „Das ist keine normale Transaktion. Es geht um eine Übernahme unserer Kronjuwelen“, sagte Bill Cash, ein EU-kritischer Abgeordneter aus Mays konservativer Partei. „Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, warum es in unserem nationalen Interesse sein sollte, sie nach Frankfurt zu transferieren.“

          Seine Parteikollegin Anne Marie Morris schrieb in einem Brief an May, aus dem die Zeitung „Times“ zitierte, die Börsenfusion sei „nicht im öffentlichen Interesse“ und könne dem Land schaden. Es könne nicht sein, dass Großbritannien den EU-Binnenmarkt verlasse, seine Börse aber anschließend in Frankfurt beaufsichtigen lasse. An diesem Dienstagabend ist in London eine Parlamentsdebatte zur Zukunft der LSE angesetzt.

          Die Aktionäre beider Konzerne haben den Fusionsvorschlag, der einen Sitz der Holding in London vorsieht, mit großer Mehrheit angenommen. Auf der anderen Seite ist in dem Angebotsdokument ein sogenanntes Referendums-Komitee erwähnt, das bei einem Austritt Großbritanniens aus der EU Änderungen an dem Deal vorschlagen kann. „Ob man den Holdingsitz mit Verweis auf dieses Gremium rechtssicher verändern kann, vermag ich nicht zu beurteilen“, sagt CDU-Politiker Boddenberg. „Aber: Die Beteiligten sind aufgefordert, über alle möglichen Wege nachzudenken, um eine rechtssichere Lösung zu finden.“

          Eine Option wäre Insidern zufolge die Schaffung eines doppelten Holdingsitzes - ähnlich wie beim Ölriesen Shell oder beim Flugzeugbauer Airbus. Boddenberg ist von der Idee allerdings nicht überzeugt. „Ich weiß nicht, wie das gehen soll – ein Standort hat immer den Hut auf. Außerdem handelt es sich nach dem Brexit um zwei verschiedene Rechtsräume mit unterschiedlichen regulatorischen Rahmenbedingungen.“

          Falls es irgendwann einen solchen Vorschlag geben sollte, werde dieser aber natürlich ergebnisoffen geprüft. Die Deutsche Börse wollte sich zu dem Thema nicht äußern, von der LSE war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.

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