Bertelsmann-Musikchef : „Die Musikindustrie muss eine härtere Haltung gegenüber Tiktok entwickeln“
- -Aktualisiert am
Hartwig Masuch im Februar in der BMG-Zentrale in Berlin Bild: Andreas Pein
Mindestens fünf weitere gute Jahre für die Branche erwartet Masuch. Nach etwas „Schnappatmung“ durch den Zinsanstieg dürften auch Katalogdeals wieder zunehmen. Im Vergütungsstreit mit Tiktok fordert er, zur Not auch Musik von der App abzuziehen.
Die einen lieben „Last Christmas“, „All I Want For Christmas Is You“ oder „Driving Home for Christmas“, die anderen hassen die Weihnachtsklassiker. Hartwig Masuch jedenfalls, so viel ist sicher, wird Chris Reas Klassiker neuerdings (noch?) viel lieber hören. Denn seit kurzem gehen die vormals dem Briten zustehenden Anteile aus der Vermarktung der Aufnahme und vielen anderen seiner Veröffentlichungen an die Bertelsmann-Musiksparte BMG – die Rechte an sich liegen weiterhin bei Warner Music.
Der Deal, bekanntgegeben am 6. Dezember, ist eine von mehreren im Vergleich zu den Verkäufen von Springsteen, Dylan oder Phil Collins & Co kleineren Übernahmen, die BMG in den vergangenen Wochen vermeldet hat. Da wären etwa noch die Rechte an vielen Aufnahmen der Band Fools Garden („Lemon Tree“), ein Paket von Peter Frampton oder die Recorded-Anteile von Haddaway („What Is Love“). Insgesamt hat BMG dieses Jahr mehr als 30 Rechtekäufe getätigt, wenngleich nicht alle verkündet wurden. So läuft es eben in der Branche. Über finanzielle Details erfährt die Öffentlichkeit erst recht nur selten etwas von den beteiligten Parteien.
„300 Millionen für Genesis oder dreißig Mal 10 Millionen für kleinere Kataloge, das kommt aufs Gleiche raus“
„2022 war ein gutes Jahr für uns“, resümiert der BMG-Chef im Gespräch mit der F.A.Z. „Wir sind auch auf der Akquisitionsseite bis zur letzten Woche aktiv, während sich manche Wettbewerber gerade verständlicherweise etwas schwerer tun. Es ist natürlich ein Unterschied, ob ich auf Konzernkapital zurückgreifen kann oder mich anderweitig finanzieren muss.“ Masuch dürfte hier etwa auf Hipgnosis anspielen, einer der in den vergangenen Jahren besonders aktiven Rechte-Käufer, gegründet 2018 vom umtriebigen Ex-Künstlermanager Merck Mercuriadis. Im Zuge der Krise hatte der Kurs des an der Londoner Börse notierten Fonds Hipgnosis Songs (HSF) zuletzt deutlich nachgegeben.
„Es hat ein bisschen Schnappatmung gegeben, da die Zinsen deutlich gestiegen sind und die großen Nicht-Musikfirmen sich erst einmal ihre Finanz- und Kreditstruktur anschauen mussten“, sagt Masuch. Ein längerfristiges und deutliches Abkühlen des in Zeiten günstigen Geldes boomenden Marktes erwartet der 68 Jahre alte Branchenveteran aber nicht.
„Was aktuell passiert ist: Es gibt eine Menge Künstler, die zwar verdauen mussten, dass sie den Peak vielleicht verpasst haben, aber wenn man nicht das Niveau von 2021 als Maßstab nimmt, sondern beispielsweise das Niveau von 2011 dann sind wir 100 Prozent darüber“. Sobald sich die erste Enttäuschung gelegt habe, werde der Markt wieder Fahrt aufnehmen – „nicht zuletzt, weil so viel relevantes Repertoire heute im Besitz von Leuten ist, die zwischen 70 und 80 Jahre alt sind und beispielsweise ihr Erbe einfacher regeln wollen“.
„Deutliches Abflachen des Wachstums ist nicht zu erwarten“
Hinzu kommt: Die Aussichten für die Musikindustrie sind gut und damit auch für die Rechteinhaber gefragter Songs. Nach wie vor zeigt sich die Branche in der Krise sehr stabil, Das dürfte so bleiben, prognostiziert Masuch: „Ein deutliches Abflachen des Wachstums ist nicht zu erwarten, es gibt einfach zu viele große Faktoren, die uns in die Hände spielen: das globale Wachstum und die Erschließung neuer Altersgruppen im Audio-Streaming und dazu die sehr starke weitere Ausweitung des Video-Streamings“. Letzeres werde immer etwas stiefmütterlich behandelt, aber es gebe reihenweise Haushalte, die Disney +, Hulu, Netflix und Co parallel abonniert hätten. „Alle diese Dienste zahlen einen Teil ihres Umsatzes für die Nutzung von Musik. Da geht es schon jetzt um viele Millionen.“ Selbst auf lokaler Ebene kämen immer neue Anbieter hinzu.