Biotechnologie : Millionen für ein Molekül
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Die Zukunft im Blick: Eine biotechnische Assistentin in einem Labor in Martinsried. Bild: Müller, Andreas
Eigene Umsätze erzielt in der Biotechnologie längst nicht jedes Unternehmen. Viele sind auf den Staat als Förderer und Kapitalgeber angewiesen. Zuletzt hat sich das für die öffentliche Hand sogar gelohnt.
Sechs Jahre noch, dann wird das winzige Peptid Cor-1 vielleicht zum ersten Mal in einem Arzneimittel gegen Herzschwäche eingesetzt. Kommt es dazu, dann wird auf der Packung das Logo des amerikanischen Pharmakonzerns Janssen-Cilag prangen, der damit Erlöse in dreistelliger Millionenhöhe im Jahr anpeilen dürfte. Erforscht wurde das aus Aminosäuren aufgebaute Molekül allerdings in Deutschland. Über Jahre hat die öffentliche Hand zunächst die Grundlagenforschung an zwei Universitäten, dann die Weiterentwicklung im Unternehmen Corimmun aus Martinsried bei München ermöglicht. Dass von diesen Anstrengungen eines Tages ein Konzern aus Übersee profitieren könnte, hört sich wie ein Grund zum Haareraufen an. Doch stattdessen äußern sich sowohl die Fördermanager im Bundesforschungsministerium als auch die Proteinpioniere in Martinsried hochzufrieden über die Situation.
100-Millionen-Dollar-Geschäft
Für einen nationalen Reflex gibt es nach ihrer einhelligen Meinung keinen Grund. Denn Janssen-Cilag hat Ende Juni rund 100 Millionen Dollar für Corimmun gezahlt - deutlich mehr, als die mehrheitlich staatlichen Kapitalgeber seit der Unternehmensgründung 2006 investiert haben. „Jetzt fließt das Vier- bis Fünffache des Investments an den Steuerzahler zurück“, überschlägt Martin Ungerer, einer der Gründer. Wichtigster Gesellschafter der Corimmun GmbH war bis zum Verkauf mit einem Anteil von rund 25 Prozent zwar der private Wagniskapitalgeber MIG-Fonds; gemeinsam kommen die Förderbank KFW, die von der bayerischen Förderbank getragene Beteiligungsgesellschaft Bayern-Kapital, der High-Tech-Gründerfonds und die Beteiligungsgesellschaft des Münchener Biotech-Clusters Bio-M aber auf die Mehrheit der Anteile.
Insgesamt haben die Investoren nach Angaben von Bayern-Kapital rund 13,5 Millionen Euro eingesetzt und nun „einen erheblichen Return-on-Investment“ erzielt. Doch bevor sich die teils öffentlichen, teils privaten Geldgeber von dem Konzept überzeugen ließen, brauchte Corimmun eine Anschubfinanzierung. Die vier Wissenschaftler von den Universitäten in Tübingen und Würzburg, auf deren Ausgründung das Unternehmen zurückgeht, bewarben sich gemeinsam mit Ungerer 2006 um eine Förderung aus dem Programm „Go-Bio“ des Bundesforschungsministeriums, das die Kommerzialisierung von Forschungsprojekten unterstützen soll. Zwölf von 180 Bewerbungen wurden ausgewählt, Corimmun war darunter und erhielt insgesamt 3,6 Millionen Euro.
Erfolgreiche Versuche an Menschen und Tieren
„Das hat uns erlaubt, aus den Forschungsergebnissen die richtigen Arzneimittelkandidaten zu identifizieren“, berichtet Ungerer. Dafür wurden unter anderem Tierversuche durchgeführt, wie sie zu Beginn der Medikamentenentwicklung nötig sind. „Für Investoren ist das noch keine interessante Phase“, erläutert Ungerer. Doch als die erste klinische Studie anstand, ein Sicherheitstest an 60 gesunden menschlichen Probanden, waren sowohl der MIG-Fonds als auch Bayern-Kapital und die KfW zum Einstieg bereit. Weil die Ergebnisse vielversprechend waren, legten alle Investoren 2010 noch einmal nach, so dass eine zweite Studienphase eingeleitet werden konnte, in der die Wirkung des Mittels an 160 Patienten getestet wird. Dafür bewilligte auch das vom Bund initiierte Biotechnologie-Cluster M4, das die Entwicklung der personalisierten Medizin vorantreiben soll, 1,6 Millionen Euro. Die Studie ist noch nicht abgeschlossen, das Fördergeld noch nicht aufgebraucht - aber Corimmun schon verkauft.
Die weitere Entwicklung trägt der zum Gesundheitskonzern Johnson & Johnson gehörende Arzneimittelhersteller Janssen-Cilag nun aus eigener Kraft, die noch ausstehenden Fördermittel werden nicht mehr ausgezahlt. Corimmun hätte schon in einigen Monaten um frisches Kapital werben müssen, um die laufende Studie zu Ende bringen zu können. Johnson & Johnson dagegen kann sich mit einem Umsatz von zuletzt 65 Milliarden Dollar und einem Nettogewinn von 9,6 Milliarden Dollar dieÜbernahmeprämie und das Risiko leisten, dass sich die Wirksamkeit des Mittels bis zum Abschluss der zweiten Studienphase im kommenden Jahr oder in der danach obligatorischen dritten Phase mit deutlich mehr Patienten und entsprechend höheren Kosten doch nicht im erhofften Maße nachweisen lässt. Die Wahrscheinlichkeit, dass aus einem Wirkstoff in der zweiten Studienphase später tatsächlich einmal ein zugelassenes Arzneimittel wird, liegt nach Berechnungen des Fraunhofer-Instituts bei eins zu drei.