https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/berater-legen-massnahmenpaket-fuer-marodes-schienennetz-vor-18532020.html

Unpünktliche Züge : Berater legen Maßnahmenpaket für marodes Schienennetz vor

Zo Fooss noh Kölle jonn? Zumindest bringen die Arbeiten an der Eisenbahnbrücke über die Deutz-Mülheimer Straße wie vielerorts Einschränkungen mit sich. Bild: Lando Hass

Es muss sich viel ändern, damit Züge in Deutschland wieder pünktlich sind. Eine Kommission legt eine lange Liste vor. Nun jetzt soll alles ganz schnell gehen, verspricht Verkehrsminister Wissing.

          3 Min.

          Bundesverkehrsminister Volker Wissing möchte zentrale Forderungen der „Beschleunigungskommission Schiene“ schnell von der Bundesregierung absegnen lassen, um zügig Lösungen für das überlastete Schienennetz in Deutschland einzuleiten. Das hat der FDP-Politiker am Dienstag zur Übergabe des Abschlussberichtes des Beratergremiums beteuert. Noch in dieser Woche sollen wichtige Eckpunkte des Berichtes vom Kabinett beschlossen werden.

          Corinna Budras
          Wirtschaftskorrespondentin in Berlin.

          Damit will er den „Rückenwind“ aus der Arbeit nutzen und eine Art Selbstbindung der Bundesregierung er­reichen. In ihrem Abschlussbericht hat die Kommission mit rund 30 Vertretern aus Politik, der Bahn- und Baubranche sowie aus Behörden und der Wissenschaft 70 konkrete Handlungsempfehlungen aufgelistet, die nun geprüft und zeitnah umgesetzt werden sollen.

          Politisches Hick-Hack mit den Grünen

          Mit der angestrebten Vorfestlegung durch die Bundesregierung dürfte Wis­sing vor allem auf den grünen Koalitionspartner zielen, der in einigen Aspekten der Planungsbeschleunigung fundamental andere Auffassungen vertritt als die FDP. Die politische Auseinandersetzung dreht sich vor allem um die Frage, ob auch der Straßenneubau von effizienteren Strukturen profitieren soll oder diese sich nur auf Infrastrukturvorhaben konzentrieren sollen, die dem Klimaschutz dienen.

          Neben dem Ausbau der Windenergie gehört dazu nach Auffassung der Ampelkoalition in jedem Fall auch die Schiene, wie Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zuletzt betonte. „Wenn hier noch jemand glaubt, wir hätten Zeit für Spielchen gegeneinander, der hat den Ernst der Lage auf der Schiene nicht er­kannt“, sagte Wissing mit Blick auf die Auseinandersetzungen.

          Druck kam indes auch aus der Kommission selbst: „Jetzt muss Volker Wissing vorlegen, und zwar zügig“, forderte Kerstin Haarmann, Bundesvorsitzende des ökologischen Verkehrsclubs VCD. „Der Zeitplan für das Verkehrsministerium und den Bundestag ist definiert. Es gibt keine Ausreden mehr.“

          Knapp 200 unterschiedliche Fördertöpfe

          Die Liste, die die Beschleunigungskommission knapp ein halbes Jahr nach ihrer Berufung vorlegte, ist lang. Sie um­fasst sowohl kleine, schnell umzusetzende Maßnahmen als auch grundlegende Reformen zum Finanzierungssystem der Schiene. Statt 190 unterschiedlicher Fördertöpfe sollten künftig nur noch zwei Fonds für die Instandhaltung und den Neubau des Schienennetzes genutzt werden, wie der Vorsitzende der entsprechenden Arbeitsgruppe, Tobias Heinemann, betonte.

          Anders als bisher soll das Geld auch über mehrere Jahre hinweg genutzt werden können. Das bisher geltende Haushaltsprinzip sieht dagegen vor, dass die zur Verfügung gestellten Mittel innerhalb des Kalenderjahres genutzt werden müssen. „Die Maßnahmen sollen nicht jedes Jahr neu hinterfragt werden“, sagte Heinemann, der zudem Präsident des Bündnis für fairen Wettbewerb im Schienenpersonenverkehr, Mofair, ist. „Die Zeiten, in denen mit Infrastruktur Geld verdient werden konnte, sind vorbei.“

          Heinemann verwies auf ein weiteres großes Projekt zum Umbau der Deutschen Bahn. Im Jahr 2024 soll eine „ge­meinwohlorientierte“ Infrastrukturgesellschaft entstehen, in der die zentralen Tochtergesellschaften der Bahn gebündelt werden sollen. Der Interessenverband Allianz pro Schiene brachte zudem noch eine andere Finanzierungsquelle ins Gespräch, die die Beschleunigungskommission beschäftigt hat: „Wenn dann – wie von der Bundesregierung geplant – in gut einem Jahr noch Einnahmen aus der Lkw-Maut auch in die Schiene fließen können, dann haben wir eine solide Basis für die Modernisierung des Schienennetzes“, sagte der Geschäftsführer Dirk Flege, der ebenfalls in der Kommission mitgearbeitet hat.

          Verkehrsminister Wissing wollte sich noch nicht festlegen, ob dieser Umbau tatsächlich in all seiner Konsequenz umgesetzt wird – auch, weil er dies nicht allein zu entscheiden hat. Er äußerte „Sympathien“ für diesen Vorschlag, der auch schon mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vorbesprochen sei. Allerdings hätten dies auch die Haushaltspolitiker des Bundestags mitzuentscheiden. Mit Lindner sei er sich jedoch einig, dass die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden müssten. Eine konkrete Zahl nannte er nicht, denn die wirklich großen Kosten fielen erst ab dem Jahr 2024 an. Dann startet auch die Generalsanierung, mit der die Deutsche Bahn die Hauptverkehrsadern ihres Netzes nach und nach er­neuern will – teilweise unter kompletter Sperrung der betroffenen Strecken.

          Neben den großen Reformen finden sich etliche kleinere Maßnahmen in dem Paket, die womöglich schon bald Entlastungen bringen. So könnten die Kapazitäten auf der Schiene besser genutzt werden, wenn deren Management konsequent digitalisiert wird. Dadurch könnten etwa Rangiervorgänge von Hauptknotenpunkten in Frankfurt auf weniger befahrene Stellen verlegt werden. Mithilfe einer solchen „Deutschlandtakt-Maschine“ könnte der Fahrplan dann so optimiert werden, dass mehr Verkehr über die Schienen geleitet werden kann – auch ohne Netzausbau, der wesentlich länger dauern würde.

          Kommt jetzt das „Moderne-Schiene-Gesetz“?

          Beim Bau neuer Gleise sei ebenfalls noch „Luft nach oben“, stellte die Kommission klar. So gebe es Beispiele von Großmaschinen, die auch nach 18 Monaten noch immer nicht von der zustän­digen europäischen Behörde genehmigt worden seien und nutzlos herumstünden, erläuterte der Kommissionsvorsitzende und parlamentarische Staatssekretär Michael Theurer (FDP).

          Die Kommission sprach sich für ein neues Regelwerk unter dem Titel „Moderne-Schiene-Gesetz“ aus, mit dem zentrale Normänderungen schnell in die Wege ge­leitet werden könnten. Dazu gehöre auch die gesetzliche Festlegung, dass Infrastrukturvorhaben künftig Vorrang eingeräumt werden müsse, außerdem sollten Prozesse zur Flächennutzung und Raumplanung deutlich vereinfacht werden.

          Weitere Themen

          144 Engpässe in 30 Stunden

          Kompromisse der Ampel : 144 Engpässe in 30 Stunden

          Die Ampel verhandelt im Koalitionsausschuss zweieinhalb Tage über ein „großes Werkstück“. Die Grünen-Vorsitzende Lang sagt, es seien „auf keinen Fall“ einfache Verhandlungen gewesen.

          Topmeldungen

          Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am 21. März in Ankara

          Wahlen in der Türkei : Erdogan muss um die Macht fürchten

          Die Ausgangslage vor der Wahl am 14. Mai ist für den türkischen Präsidenten denkbar schlecht. Er wird versuchen, den Trend mit seiner populistischen Rhetorik zu drehen.
          Die Minister Christian Lindner (links) und Robert Habeck nach dem Koalitionsausschuss: Was der FDP gefällt, ist für die Grünen schwer zu verkraften.

          Nach der Ampel-Sitzung : Grüner wird’s nicht mehr

          Nach der langen Sitzung in Berlin frohlockt die FDP über den Pragmatismus der SPD und lobt den Kanzler. Der dritte Partner im Bunde steht plötzlich allein da.
          Viel Natur in Dürmentingen: Die Begrünung kühlt das Haus, aber macht Neubauten erst mal teurer.

          Pflanzen an Wänden und Dächern : Das Haus wird grün

          Gegen die Hitze in der Stadt sollen Pflanzen an Fassaden und Gräser auf Dächern wachsen. Aber Vorschriften wie in Frankfurt verteuern das Wohnen noch mehr.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.