Imagewechsel : Lidl duzt sich
- -Aktualisiert am
Zehn Wochen sind seither vergangen, außer der Lokalzeitung hat sich niemand öffentlich in die Debatte eingemischt, dafür war die Bewegung im Konzern umso intensiver, wie Seidel bilanziert: „Wir bekommen viel positives Feedback. Viele berichten, dass die Atmosphäre vertrauensvoller geworden ist.“ Sein Kollege Patrick Kaudewitz, der die Kaufland-Sparte leitet, sagt: „Wir haben etwas getan, wo man sich jetzt fragt, warum es nicht schon lange passiert ist.“ Und Konzernchef Klaus Gehrig setzt noch eins drauf: „Es gibt keinen Zwang. Aber klar ist: Wer sich nicht duzt, isoliert sich. Das sind nicht die Leute, die wir brauchen.“
Fachkompetenz durch Duzen stärker wahrnehmen
Mit plötzlicher Harmoniesucht hat das nichts zu tun. Gerade Klaus Gehrig gilt als wenig zimperlich. Wenn er nicht zufrieden ist, bekommen das die Verantwortlichen deutlich zu spüren. Bei Kaufland etwa, wo in den vergangenen eineinhalb Jahren sechs Vorstände gehen mussten, weil sie sich dem von Gehrig gewünschten Kurswechsel widersetzten. Patrick Kaudewitz ist seit Oktober Kaufland-Chef und ganz mit dem Konzernchef einig: „Wer es fachlich und durch seine Persönlichkeit nicht drauf hat, kann sich jetzt nicht mehr hinter einem Sie verstecken.“ Durch das Duzen, da sind sich die Handelsmanager einig, werde die Fachkompetenz viel stärker wahrgenommen, die für den Erfolg des Unternehmens letztlich doch wichtiger sei als die hierarchische Position.
Nicht alle dürften glücklich sein mit der neuen Duz-Kultur. Vor allem auf den unteren Management-Stufen gebe es Vorbehalte, ist zu hören. Umgekehrt gibt es offenbar viele, die regelrecht glücklich sind darüber. Klaus Gehrig berichtet von einer neuen Wahrnehmung in seinem Umfeld: Plötzlich sei ihm klargeworden, dass er eine Mitarbeiterin, die er über Jahre gesiezt habe, damit unbewusst gekränkt habe. Ja, habe die Dame zugegeben, das sei der Fall gewesen, und habe dann im Gespräch mit ihrem plötzlich Klaus zu nennenden Chef hinzugefügt: „Aber du bist ja sonst nicht so.“
Was den Chefs jetzt noch bleibt, um demonstrativ ihre Position zu zeigen, sind die Dienstwagen. Zwischen 15.000 und 20.000 Autos kauft die Schwarz-Gruppe für die Führungskräfte von Lidl und Kaufland jedes Jahr ein, vorzugsweise bei Audi. Der bayerische Hersteller hat in Neckarsulm, dem Stammsitz der Schwarz-Gruppe, ein großes Werk, da gehört es quasi schon zur Pflege der nachbarschaftlichen Beziehungen, bei Audi einzukaufen. Die Handelsmanager kennen sich bestens aus in der Modellpalette, denn daran erkennen sie bisher die Hierarchiestufe der Kollegen. Doch auch das wird sich wohl bald ändern, deutet Klaus Gehrig an, ein neuer Umgang mit Dienstwagen werde diskutiert.
Und die Krawatte, jenes Symbol von Macht und Einfluss, das mittlerweile selbst bei den Managern traditionsreicher Industriebetriebe immer häufiger im Schrank bleibt? Die hat Klaus Gehrig schon vor acht Jahren demonstrativ abgeschafft. An Selbstbewusstsein fehlte es dem 68 Jahre alten Konzernchef noch nie, unter seiner Ägide ist die Schwarz-Gruppe schließlich zum viertgrößten Lebensmittelhändler der Welt geworden: die 375.000 Mitarbeiter erwirtschafteten zuletzt 85,7 Milliarden Euro Umsatz. Er habe auch schon ein Treffen mit der Bundeskanzlerin ohne Krawatte absolviert, berichtet Gehrig, und zu Bankengesprächen trage er ohnehin keinen Binder: „Wenn ich mit Krawatte kommen muss, ist das nicht die richtige Bank für uns.“