Bauern kritisieren Gutachten : Wie glücklich muss ein Schwein sein?
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Ein Politikum: das deutsche Ferkel, rosarot Bild: dpa
Die Massentierhaltung müsse sich um 180 Grad drehen, fordern Wissenschaftler. Doch die Bauern werfen den Gutachtern Weltferne vor. Und Agrarminister Christian Schmidt? Der duckt sich weg.
Sollen Hühner und Schweine mehr Freude im Leben haben als heute? Und wenn ja, wie misst man das Tierglück? Führende Wissenschaftler sagen jetzt deutlich: Ja, Nutztiere sollen glücklicher werden. Das Wort „Emotion“ kommt mehrfach vor im Gutachten des wissenschaftlichen Beirats Agrarpolitik. Das ist nicht üblich für Studien, die Professoren der Ökonomie, Betriebswirtschaft oder des Pflanzenbaus sonst veröffentlichen.
In dem am Mittwoch übergebenen Gutachten ist der Begriff Emotion der Dreh- und Angelpunkt. Die Wissenschaftler sehen es als ihre Aufgabe, die Gefühle der Verbraucher gegenüber Tieren wie auch die der Tiere selbst zum Maßstab zu machen für ihre Politikberatung.
Das Verhältnis von Tier und Mensch sei dynamisch, und es habe sich so verändert, dass sich die Massentierhaltung um 180 Grad drehen muss – das ist die Quintessenz des rund 450 Seiten dicken Gutachtens. Auch wenn es dadurch zu Verlagerungen von Tierställen ins Ausland kommen und überdies teuer werde – 3 bis 5 Milliarden Euro und Kostensteigerungen von bis zu 40 Prozent für die Bauern. Dafür gäbe es Auslauf ins Freie für alle Tiere, viel mehr Platz, einen totalen Verzicht auf die gängigen Amputationen von Schnäbeln und Ringelschwänzen.
Gutachten hätte Schmidt in Erklärungsnot gebracht
Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) blieb der Übergabe am Mittwoch überraschend fern. Er sollte, wie üblich in der 65-jährigen Geschichte des Gremiums, die Studie in Empfang nehmen. Mittags aber, kurz vor Beginn, schickte das Ministerium eine Absage: Schmidt könne „wegen kurzfristig entstandener Terminverpflichtungen heute Mittag das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates zur Nutztierhaltung leider nicht persönlich entgegennehmen“.
Da der Termin große Medienöffentlichkeit versprach, erschien die Absage merkwürdig. Die überraschend deutliche Sprache der Gutachter, die „erhebliche Defizite vor allem im Bereich Tierschutz“ ausmachten und die Tierhaltung als „nicht zukunftsfähig“ ansehen, hätte ihn wohl in Erklärungsnot gebracht.
Anders als die Grünen mit ihren sechs Landesministern für Landwirtschaft lehnt Schmidt eine Agrarwende ab. Dort wo Grüne sie propagieren, allen voran in Niedersachsen, findet sie vor allem in Gestalt verschärfter Verordnungen für Tierhaltung statt. Die lehnte Schmidt bislang ab. Da er wegblieb, sprachen am Mittwoch andere. Der agrarpolitische Sprecher der Grünen, Friedrich Ostendorff, sagte: „Dieses Gutachten ist eine Klatsche für die bisherige Politik von Minister Schmidt.“ Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter entsandte folgendes Statement: „Wenn Minister Schmidt seine Experten ernst nimmt, muss er eine Agrarwende einleiten.“ Andernfalls dränge er die Landwirtschaft an den Rand der Gesellschaft.
Bauern bemängeln „Weltferne“ der Gutachter
Die Landwirtschaft selbst sah sich eher durch das wissenschaftliche Gutachten an den Rand gedrängt. So äußerte sich jedenfalls der mitgliedsstärkste Deutsche Bauernverband. Das Gutachten sei fragwürdig. Es basiere teils auf „subjektiven Emotionen und Empfindungen“, sagte der Generalsekretär des Bauernverbandes, Bernhard Krüsken, dieser Zeitung. Er sehe es äußerst kritisch. Die Feststellung, die Tierhaltung sei nicht zukunftsfähig, sei ein Postulat, keine wissenschaftliche Aussage.
Weder seien im Gutachten die Verbesserungen der Tierhaltung der vergangenen Jahrzehnte dargestellt, die es gegeben habe, noch würde das Einkaufsverhalten der meisten Verbraucher, die eben meist nicht teures Bio-Fleisch kaufen, ernst genommen. Den Professoren sagte der Bauernverband „eine gewisse Weltferne“ und „romantisch-naive“ Vorstellungen nach, etwa bezüglich der Annahme, man müsse die Tiere nur an die frische Luft lassen, und schon sei die Gesellschaft versöhnt.
Die Gutachter bezifferten auch Kostenerhöhungen für die Bauern. Würden alle Maßnahmen umgesetzt, verteuerte sich die Schweinefleisch-Produktion um 28 bis 41 Prozent. Die Ei-Produktion würde etwa 13 Prozent, die von Rindfleisch 22 Prozent teurer, die von Milch nur 3 Prozent. Die Zahlen des Gutachtens seien grob unterschätzt, meinte der Bauernverband. Weder die Wertschöpfungsverluste aus dem Abwandern der Erzeugung seien berücksichtigt, noch der Wertverlust erfolgter Investitionen.