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Keks-Konzern in Erklärungsnot : Bahlsen-Brüder waren in der NSDAP

Leibniz Butterkekse laufen über ein Fließband im Werk der Firma Bahlsen in Barsinghausen. Bild: dpa

Unbedachte Äußerungen der Firmenerbin Verena Bahlsen haben eine Diskussion über Zwangsarbeit ausgelöst. Jetzt kommt heraus: Mitglieder der Familie unterstützten das Nazi-Regime in größerem Umfang als bislang bekannt.

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          Gerade erst hat der Gebäckhersteller Bahlsen angekündigt, wegen der von der Unternehmenserbin Verena Bahlsen ausgelösten Diskussion über Zwangsarbeit im eigenen Konzern seine Rolle während des Zweiten Weltkriegs aufarbeiten zu lassen. Jetzt kommen weitere Details ans Licht, die dem Thema zusätzliche Brisanz geben. Wie der „Spiegel“ berichtet, waren die drei Brüder Hans, Klaus und Werner Bahlsen, die das Unternehmen in der Zeit des Nationalsozialismus gemeinsam geführt hatten, Mitglieder der NSDAP. Der älteste Bruder Hans sei der Partei am 1. Mai 1933 beigetreten, wie aus Entnazifizierungsakten hervorgehe. Werner und Klaus folgten demnach im Jahr 1942.

          Christian Müßgens
          Wirtschaftskorrespondent in Hamburg.

          Hans Bahlsen soll dem Bericht zufolge außerdem im Mai 1933 der SS beigetreten sein. Er sei dort als Mitglied einer sogenannten SS-Motorstandarte geführt worden, heißt es weiter. Zwar habe er im Dezember 1934 die Organisation wieder verlassen, angeblich als Reaktion auf einen Befehl, aus der Kirche auszutreten. Seine beiden Brüder sollen aber noch bis zum Jahr 1935 als Fördermitglieder Geld  an die SS gezahlt haben. In der Entnazifizierung, also der von 1945 an umgesetzten Politik der Alliierten, die darauf abzielte, die deutsche Gesellschaft und Politik von allen Einflüssen des Nationalsozialismus zu befreien, soll Hans Bahlsen als Mitläufer eingestuft worden sein. Seine beiden Brüder enthielten offenbar den Status „entlastet“.

          Detaillierte Berichte über Verstrickungen von Bahlsen im Nationalsozialismus finden sich bisher kaum. Im vergangenen Jahr hatte die „Bild“-Zeitung anlässlich einer Fernsehdokumentation über das Unternehmen noch berichtet, dass kein Bahlsen-Mitglied in die NSDAP eingetreten sei. Auf dem Firmengelände sei der Hitler-Gruß vermieden worden. Allerdings habe Bahlsen Geschäfte mit der Wehrmacht gemacht, indem das Unternehmen Feldpost-Karten drucken ließ und Kekse für die Front produzierte. Zudem ist bekannt, dass Bahlsen zwischen 1942 und 1945 rund 200 Zwangsarbeiter beschäftigt hat, vor allem Frauen aus Osteuropa. Einige von ihnen hatten 1999 gegen Bahlsen geklagt, doch hatte das Landgericht Hannover ihre Forderungen nach einer Entschädigung zurückgewiesen.

          „Ich bin Kapitalistin“

          Ein Sprecher des Unternehmens wollte sich zu den aktuellen Nachrichten nichts äußern. Er verwies auf die jüngst beschlossene Historikerkommission, die demnächst ihre Arbeit aufnehmen soll. Sie soll von Manfred Grieger geleitet werden, der bis zum Jahr 2016 als Chefhistoriker von Volkswagen arbeitete und heute Professor an der Georg-August-Universität Göttingen ist. Laut Bahlsen hat er den Auftrag, eine wissenschaftlich fundierte Unter­neh­mens­ge­schichte zu verfassen. In diesem Zusammenhang soll auch genauer unter­sucht werden, welche Rolle die Zwangs­ar­beiter spielten und wie das Unter­nehmen mit ihnen umging. Verena Bahlsen hatte nach Kritik an einem öffentlichen Auftritt in Hamburg gesagt: „Das war vor meiner Zeit, und wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt.“ Das Unternehmen habe sich nichts zuschulden kommen lassen. In einer Erklärung sprach sie später von unbedachten Äußerungen und bat öffentlich um Entschuldigung.

          Die traditionsreiche Bahlsen-Gruppe mit einem Jahresumsatz von knapp 560 Millionen Euro feiert in diesem Jahr ihr 130-jähriges Bestehen. Der Keks- und Süßwarenhersteller wird zur Zeit von einer Geschäftsführung mit insgesamt vier Mitgliedern geleitet, seit sich der bisherige, langjährige Geschäftsführer Werner Michael Bahlsen vor einem Jahr aus dem Tagesgeschäft in den Verwaltungsrat zurückgezogen hatte. Ihm gehören noch fünf Prozent der Anteile an dem Keks-Imperium. Die übrigen 95 Prozent gehören den Kindern und werden von ihm mitverwaltet.

          Verena Bahlsen beschreitet in Berlin neue Wege als Unternehmerin mit einem Restaurant, das sie nach ihrem Urgroßvater „Hermann‘s“ nannte und als eine Art Zukunftslabor für gesundes Essen sieht. Ausgangspunkt für die Diskussion war ihr Auftritt auf der Messe „Online Marketing Rockstars“ in Hamburg. Dort hatte sie sich in einer eigentlich kritischen Rede, in der sie mehr Verantwortung in der Wirtschaft forderte, als Kapitalistin bekannt. „Ich will Geld verdienen und mir Segeljachten kaufen von meiner Dividende und sowas“. Trotz des ironischen Untertons war ihr dies übel ausgelegt worden. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter wiesen Nutzer darauf hin, dass ihr geerbter Reichtum auch auf Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus basiere.

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