Lehre aus dem Wirecard-Skandal : Aufsicht ist mehr als eine Formalie
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Der Wirecard-Skandal ist immer noch nicht komplett aufgeklärt. Bild: Benjamin Boch
Wenn ein Dax-30- Unternehmen unerwartet in eine dramatische Schieflage gerät, stellt sich die Frage nach der Rolle des Aufsichtsrates – und der Kompetenz seiner Mitglieder. Ein Gastbeitrag.
Wozu braucht man überhaupt einen Aufsichtsrat, wenn sich dieser über Jahre hinweg in einem Ausmaß täuschen ließ, das bis vor kurzem noch unvorstellbar erschien? Hätte man nicht früher erkennen können, dass das Gremium seiner Aufgabe offenbar nicht gewachsen war? Das sind nur zwei Fragen, die sich nach dem spektakulären Zusammenbruch von Wirecard stellen.
Letztlich sind es vor allem zwei Elemente, die die Qualität der Aufsichtsratsarbeit definieren: das Geschäftsverständnis und die Persönlichkeiten seiner Mitglieder. Erst das Zusammenwirken dieser Faktoren ermöglicht eine effektive Unternehmensaufsicht. Nur wer die grundlegenden Geschäftsabläufe versteht, kann Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen, und nur wer über eine starke Persönlichkeit verfügt, wird in einem konsensgeprägten Gremium Gehör finden.
Je komplexer das Geschäftsmodell ist und je stärker technologiegetrieben, desto notwendiger wird spezifisches Geschäftsverständnis. Es gibt zwei Bereiche, in denen auch erfahrene Aufsichtsräte erklären, mit Erfahrung und gesundem Menschenverstand nicht weiterzukommen, das sind IT und Finanzdienstleistungen. Man muss Strukturen und Abläufe im Detail verstehen, um Ertragskraft und Risiken beurteilen zu können. Da das Wirecard-Geschäftsmodell ausgerechnet diese beiden Bereiche kombiniert, indem es auf IT-gestützten Finanztransaktionen beruht, dürfte es in diesem Fall für Außenstehende besonders schwer verständlich gewesen sein.
Kollektive Kompetenzillusion
Hinzu kommt, dass bei Wirecard der langjährige Vorstandsvorsitzende gleichzeitig Großaktionär des Unternehmens war, es wird im Aufsichtsrat vermutlich niemanden gegeben haben, der das Geschäftsmodell und seine wesentlichen Elemente auch nur annähernd so gut verstand wie dieser. Die Möglichkeit fundierter Kritik am Vorstand durch ein externes Aufsichtsratsmitglied ist in einem solchen Fall minimal, praktisch jeder Einwand lässt sich auf der Grundlage überlegenen Fachwissens entkräften oder zurückweisen. Dies gilt umso mehr, wenn ein solches Unternehmen über Jahre hinweg steigende Umsätze und Ergebnisse vorweisen kann, dann gilt ein Vorstandsvorsitzender zunehmend als unantastbarer Technikguru.
In einer solchen Situation flüchten sich viele Aufsichtsräte in eine kollektive Kompetenzillusion. Diese kann entstehen, wenn nach meist perfekt vorbereiteten Vorstandspräsentationen alle Aufsichtsräte zustimmend und offenbar verständnisvoll nicken und durch gelegentliche Detailfragen den Eindruck profunder Sachkenntnis vermitteln. Dies erweckt beim einzelnen Mitglied den Eindruck, dass es zwar selbst das Ganze nur unzureichend oder gar nicht versteht, dass aber offenbar alle anderen ein sehr viel besseres Geschäftsverständnis haben und man sich auf deren Urteil verlassen kann.
Hierzu die Originalaussage des Aufsichtsratsmitgliedes (nennen wir ihn X) eines Dax-30-Konzerns im Rahmen einer Effizienzprüfung: „Wissen Sie, das ist alles so komplex geworden, dass ich mir über die Vorstandspräsentationen nicht wirklich ein eigenes Urteil bilden kann. Ich schaue dann auf Herrn Y oder Herrn Z, die von der Sache mehr verstehen als ich, und wenn die einverstanden sind, stimme ich auch zu.“ Fast überflüssig zu erwähnen, dass manchmal auch Herr Y und Herr Z den Eindruck haben, dass Herr X mehr von der Sache versteht als sie selbst.
Grundlegende Fehlentscheidungen von extern erkennen
Aufsichtsräte, die sich weder mit dieser Kompetenzillusion begnügen noch ihr Mandat niederlegen wollen, haben einen schweren Stand. Sie sind sich ihres mangelnden Geschäftsverständnisses bewusst, werden aber mit ihren Zweifeln völlig alleingelassen in einem Gremium, mit dessen Arbeit offenbar alle anderen Beteiligten zufrieden sind und in dem glänzend vorbereitete Vorstandspräsentationen die eigenen Bedenken noch unplausibler erscheinen lassen.